Freitag, 29. Oktober 2010

Besser, wer fliehend entrann der Gefahr, als wen sie ereilte


Die Antike hat so manches bereits durchlebt; und man könne meinen, sie möge sich im Schatten ihres breiten Erfahrungsschatzes genüsslich ausruhen, wohl wissend, dass sie vergangen ist. Doch auch im Jahr 2010 greifen wir gerne auf sie und ihre Zeitgenossen zurück; beispielsweise auf Homer. Oder auf Vergil oder Cicero – denn scheinbar haben diese werten Herren die gleichen menschlichen Erfahrungen und Enttäuschungen erlitten, die auch wir mehr als zweitausend Jahre nach ihnen erleben; der Mensch ändert sich nicht, lediglich die Kultur, die ihn umgibt.

Zwar bezweifle ich, dass sich jene Dichter und Denker mit dem Exportmodul Philosophie im Bachelor Vergleichende Kultur- und Religionswissenschaften herumschlagen mussten, ihren Rat befolge ich – zugegeben: im höchsten Grade peinlich berührt – dennoch. 

Letzte Woche erklärte man mir noch, dass ich mit der Wahl meines Studienganges eine privilegierte Existenz führe; wenige Tage später kommt mir das gar nicht mehr so vor. Ungern bekenne ich, dass ich die Einführung der Exportmodule in meinen individuellen Stundenplan doch nicht verstanden haben kann; dass es da ganz merkwürdige Überlappungen und Widersprüche gibt. Gerade, was das Exportmodul der Philosophie angeht. Geht das nur mir so? Bin ich die einzige, die da nicht durchblickt? Ich kann (und will) es eigentlich nicht glauben. Doch die Situation ändert sich dadurch nicht, im Gegenteil: sie zieht sich hin wie Kaugummi.
Beinahe verfluche ich diese Selbstständigkeit, die das Studieren mit sich bringt – ich will, dass ganz schnell jemand kommt und mir einen Stundenplan zaubert. Doch die sechste Klasse ist vorbei. So jemand kommt nicht mehr. 


Cicero: Die wahre Medizin
des Geistes ist die Philosophie

(Bild: de.academic.ru)
Ein bisschen verwirrt sitze ich da. 
Zwar erkenne ich das Problem, doch ich stehe ratlos davor wie ein Ochs vorm Berge. Was soll ich also tun? Was kann ich wissen? Was darf ich hoffen? Diese Stundenplanerschaffung bringt mich (und meinen Tutor Clemens) geradezu ad ultimum, um nicht zu sagen zu den finibus bonorum et malorum. Ich will das richtige tun, ohne zu wissen,  was es ist. Ist das grenzenloser Idealismus oder überspielte Verzweiflung?

In einer Umfrage zur Universitätsstatistik werde ich gefragt, weshalb ich studiere. 
Einige der möglichen Antworten sind: 
- „Ich habe gerade nichts Besseres zu tun.“ 
- „Gute Jobaussichten“
- „Wissensgewinn“ 


Die ersten beiden Antworten treffen weder auf mich noch auf meinen Studiengang zu; aber ich würde tatsächlich gerne schlauer werden, - nur wer konnte ahnen, dass mit solchen Hindernissen zu rechnen sei, dass es eine Wissenschaft für sich sei, das System zu durchblicken? Es mag einiges an der neuen Studienordnung liegen, die noch nicht jeden Fachbereich erreicht hat; es mag noch viel mehr an mir liegen, - zumindest winde ich mich geradezu verzweifelt in einem Netz aus Fragen und verstehe am Ende die Welt nicht mehr. 

Ein unschönes Gefühl.
Und während ich da sitze und mein Kopf einem Kraftwerk gleicht, stelle ich fest, dass es mich recht unglücklich macht, wie mein Dasein verläuft; und kann das das Ziel meines Studiums sein? 
Ich weiß, dass niemand glücklich oder auch nur erträglich leben kann, ohne Studium der Weisheit - erwidert Seneca. Aber der ist auch schon tot. In meinem Falle befürchte ich beinahe, dass ich in diesem Semester auch nicht mit der Philosophie glücklich werde. 
Um 12.10 Uhr habe ich meine Entscheidung getroffen. Mit erhobenen Händen ergebe ich mich und erkenne, dass hier ein Grad der Logik erreicht wurde, der mir noch verschlossen ist, - und den ich noch nicht bereit bin, zu erkennen. Ich verabschiede mich von der gelehrten Philosophie; von der Wahrheitsfindung, von Hume und der Phänomenologie. 
Natürlich schmerzt das. Man konnte sich einiges drauf einbilden. 
Doch flüchte ich mich in die Tatenlosigkeit? 
Nein. 
Ich werde mich erst einmal in meinem eigenen Studiengang umsehen - denn auch das ist möglich im Studiengang vergleichende Kultur- und Religionswissenschaft. Wenn ich wollte, könnte ich jedes Semester mein Exportmodul austauschen, oder auch erst im dritten oder vierten Semester mit dem Studium eines weiteren Faches beginnen. Ich komme also wieder. Bis dahin mache ich mir meine eigenen Gedanken. 


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