Freitag, 8. Oktober 2010

Marburg: ein gutes Gefühl

Als ich mich dazu entschließe, mein Studium in Marburg an der Lahn zu beginnen, sitze ich auf meinem Bett in Nicaragua; es ist ein grauer Nachmittag im November, die Türe zum Hof steht halb offen und wir hören es regnen. Noch besteht meine tägliche Arbeit darin, als Freiwillige in einer staatlichen Grundschule Englisch und Sport zu unterrichten; doch mit den Gedanken ist fast jeder von uns einen Schritt weiter: die Frage des Studiums ist beinahe quälend. 
Eine meiner deutschen Freundinnen sitzt im Schneidersitz neben mir, gemeinsam kämpfen wir uns durch den Internet-Dschungel der deutschen Uniangebote, und verzweifeln mit jedem weiteren Klick ein bisschen mehr; die Seiten der meisten Hochschulen sind unübersichtlich. Und verwirren. Einzig ein paar Bilder muntern uns auf und lenken ab; wir sehen kastenförmige Bauten, junge Menschen mit ernsten Gesichtern im Gespräch auf der Treppe eines Altbaus, andernorts werden unzählige Hüte in den Himmel geworfen. Doch auch das kann nicht über unsere Grundstimmung hinwegtäuschen; was für die eine Uni gilt, gilt nicht gleich für die andere, dort schreibt man sich ein, hier bewirbt man sich online, mal per ZVS, mal nicht. Das einzige, was überall zu finden ist, ist der Widerspruch; sie schicken den unwissenden Besucher von einem Link zum anderen, - letztlich landet man jedoch ganz woanders und zweifelt an seinem Abitur. 

Auf keine der Seiten, die wir besuchen, lasse ich mich tatsächlich ein; denn eigentlich bin ich nur Begleitung, eigentlich habe ich meine Universität bereits gefunden, - das glaube ich zumindest. Drum gebe ich mir nicht sonderlich viel Mühe, klicke mal ein bisschen wild herum, betrachte bei einigen Seiten das Studienangebot, doch noch immer eher halbherzig, während meine Freundin wagemutig versucht, in das System vorzudringen. 
Hier, sagt sie schließlich und deutet mit dem Finger auf den Bildschirm, hier gehe ich vielleicht hin. Ich lege den Kopf schief, und betrachte die Internetseite der Philipps-Universität Marburg.
Ich bin mir noch nicht sicher, fügt sie hinzu und überlegt. Und während sie überlegt, nehme ich diese Universität, diese Stadt, diese Möglichkeit ein wenig genauer unter die Lupe. Das, was ich sehe, gefällt mir: Das Landgrafenschloss thront über einer Gruppe von lachenden, glücklichen Studenten, der Himmel ist blau, die Stimmung unbekümmert. Es sieht ein bisschen aus wie bei Harry Potter, bis auf den kleinen Unterschied, dass in Marburg nicht gezaubert wird. Es ist klein und überschaubar, keine Stadt, in der ein Student Gefahr läuft, verschluckt zu werden.

Kein Köln, kein Berlin, kein München.
Nein, Marburg. Dort klebe man politische Botschaften auf Laternenpfähle oder man spraye sie an Häuserwände: Man sei ein bisschen links in Marburg, man lasse sich nicht so viel gefallen, dort habe die 68er-Bewegung angefangen, dort, in Marburg. Das sagt man in Bochum. Die Stadt, aus der ich komme, liegt im Ruhrgebiet, zwischen Essen und Dortmund, und das muss man meist dazu sagen. Auch hier gibt es eine Universität, eine der größten der Region sogar, aber das habe ich in den ersten zwanzig Jahren meines Lebens kaum gemerkt. Es ist eine Campus-Uni, deren Studenten kommen und gehen, ohne dass man es der Stadt ansehen kann. Das sei in Marburg anders. 
Die älteste protestantische Universität der Welt – so heißt es auf wikipedia – verlangt keine 500 Euro pro Semester und hat nebenbei Kontakte in die ganze Welt; tatsächlich bestärkt mich auch die Auslandskorrespondenz neben dem Studienangebot zu dem großen Schritt, den ich bereit bin, zu tun. Noch am gleichen Tag schicke ich eine Mail nach Hause, wie ich es immer tue, wenn es etwas Neues gibt, etwas, das mich beflügelt. Aber im Gegensatz zu vielen früheren Universitätsplänen meinerseits bleiben der Standort Marburg wie auch der Studiengang der Vergleichenden Kultur- und Religionswissenschaft bestehen. Und so ist von diesem Tag an klar, dass es mich nach Hessen ziehen wird. Nach Hessen, nicht nach Holland, wo ich mich eigentlich studieren sah; und obgleich ich nicht weiß, was ich dort verpasse, habe ich das angenehme Gefühl, den richtigen Ort gefunden zu haben. 

Dieses Gefühl ändert sich nicht.
Fast ein Jahr später sitze ich im Bus der Linie 7, Richtung Hauptbahnhof. Die Sonne geht gerade unter und ich habe soeben meinen Mietvertrag unterschrieben. Die Wohnungssuche, die angebliche Königsdisziplin der Stadt, verlief in meinem Falle geradezu friedlich; innerhalb von zwei Tagen habe ich mir etwa fünf WGs angesehen und befand mich sogar in der glücklichen Situation, auswählen zu können. Es ist das dritte Mal, dass ich hier bin. Ich kann bereits mit meinem Semesterticket reisen; und das sei eines der tollsten Tickets überhaupt, sagen alle Studenten, mit denen ich bisher gesprochen habe. 
Bei der nächsten Haltestelle steigt eine etwas ältere Frau ein; es ist eng im Bus und beinahe alle Plätze sind belegt. Doch augenblicklich springen mehrere junge Menschen auf und bieten ihr den eigenen Platz an. In Marburg macht man das so. 
Während ich aus dem Fenster schaue, stelle ich zufrieden fest, dass es sogar schöner aussieht als im Internet; denn die Stadt, die mir schon bald ein Zuhause sein wird, überrascht mit vielen kleinen Pluspunkten, die zu meiner Zufriedenheit nur beisteuern. So zum Beispiel der auch über Marburgs Grenzen hinaus bekannte Aufzug in die Oberstadt, dessen Benutzung einfach und durchaus - für jemanden, der aus einer Gegend kommt, in der ein Berg einer Attraktion gleicht - unterhaltsam ist. In einer Stadt, in der man auf eine derartige Idee kommt, kann es mir nur gut gehen. Es bleibt: ein gutes Gefühl. 

2 Kommentare:

  1. Hey Barbara,

    herzlich Willkommen in Marburg und im Studiengang Vergl. Kultur- und Religionswissenschaft!
    Ich habe deinen Blog auf unserem Fachschaftsblog in einem kurzen Beitrag promotet und verlinkt.

    Wir freuen uns dich am Dienstag um 10 Uhr begrüßen zu dürfen! :-)

    Liebe Grüße
    Gereon (i.A. der Fachschaft "Kultvolk")

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  2. Der Artikel ist schon älter, aber sehr schön geschrieben. Gefällt mir :)

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