Sonntag, 24. Oktober 2010

Kann das wahr sein? - Die erste Studienwoche in Worten

Gerade noch in Klopapier durch die Stadt gerannt, schon verschmelzen wir in der Menge mit anderen Studenten; ganz selbstverständlich sitzen wir in der Mensa oder in der BIB; natürlich kennen wir unsere Wege in die Völkerkunde, in die Religionswissenschaft und in die Europäische Ethnologie. 
Wir kommen immer pünktlich fünfzehn Minuten zu spät. 
Man nennt es das akademische Viertel, und wir, ja, wir sind hier, um Akademiker zu werden.

Aber auch, wenn uns das Unigeschehen beinahe vertraut erscheint, sind wir noch immer Erstis – und dies ist ein Dasein, das von Vorteilen, Nachteilen und bei Zeiten auch von Vorurteilen bestimmt wird. In einem vollkommen überlaufenen Seminar werden wir inoffiziell gebeten, den Raum anderen Studierenden zu überlassen bzw. unsere Wahl doch noch einmal zu überdenken; auf meiner verzweifelten Suche nach einem Raum in der Phil-Fak hakt man mich unter. Ich bin Ersti, erkläre ich ein bisschen ratlos, als ich vorm Fahrstuhl stehe, meinen Stundenplan in der Hand, mir wird vergeben und geholfen.

Hörsaalgebäude: Ein Blick nach oben
Es ist nicht das erste Mal, dass ich meine Tarnung derart schnell fallen lasse. Und mit diesem Satz schließen und öffnen sich innerhalb der folgenden Woche gleichermaßen viele Türen – metaphorischer wie tatsächlicher Natur; ein Dozent zeigt sich geradezu begeistert bei der hohen Zahl Neustudierender, andere Studenten seufzen bei organisatorischen Fragen. Ich kann es ja ein wenig verstehen; aber wer ist schon gerne unerfahren, wenn es auch noch alle wissen?

Für mich startet die Woche am Montagmorgen im Hörsaalgebäude. Mein Sitznachbar erklärt, dass es gerade renoviert wird; das ist gut, denke ich mir, wenn ich so an die Decke gucke.
Meine erste Veranstaltung an diesem Tage gehört zum Exportmodul Philosophie und es sind bis jetzt tatsächlich mehr Wissenshungrige erschienen, als ich das gedacht habe. Am Gymnasium sind die Philosophen stark in der Minderheit; an der Uni tauchen sie plötzlich in Heerscharen auf. Wo kommen sie her, all diese Philosophen?
Ich unterhalte mich mit meinem Nachbarn; über Unisport, über Exportmodule, über vieles. Doch während der Hörsaal sich langsam füllt, bleibt ein Platz frei: der Platz des Lehrenden. Und so endet mein erster Ausflug in die Phänomenologie tatenlos, - denn für heute fällt die Vorlesung aus. Es ist halb eins und für heute habe ich frei. 
Darf ich das schreiben? 
Ich vermeide es beinahe, mit meinen Mitbewohnern über meinen Stundenplan zu reden. Als Pharmazeuten, Physiker, Mathematiker und Chemiker sind sie beinahe den ganzen Tag in der Uni. Und ich? Ich habe freitags frei. Bei der Erstellung der Stundenpläne wurde mir wärmstens ans Herz gelegt, nicht mehr als zwölf Semesterwochenstunden zu verfolgen. Mit mittlerweile achtzehn Stunden erscheine ich mir – und anderen Kommilitonen - geradezu todesmutig.

Phil-Fak: Der Wahrheit auf den
Grund gehen
Während ich montags noch am Zweifeln bin, werde ich Dienstag darin bestätigt, dass doch letztlich die Qualität der Vorlesungen und Seminare entscheidet; es ist 12.15 Uhr und der Raum 03 im Block B der Philosophischen Fakultät ist brechend voll.
Hier oben ist es schöner, als man von außen vermuten könnte. Wieder füllen sich die Reihen mit Philosophen, - es geht nämlich um Wahrheit. Um die außerordentlich provokante Frage: Was ist Wahrheit? Eine Frage, die ich schon bald beinahe täglich mit meinen Mitbewohnern aufgreifen werde. Doch in der ersten Sitzung beobachte ich noch; lausche dem Dozenten, sehe mich ein wenig um und staune über die folgende Diskussion, die los getreten wird. Fast wünsche ich, ich könnte mitreden.

Mittwochabend stellt sich unser Fachbereich samt Fachschaft im Rahmen eines kleinen Sektempfanges vor; wieder tauchen neue Gesichter auf, in kleinen Kreisen unterhalten wir uns, knabbern Salzstangen und Cracker. Auf die Frage hin, was wir denn beruflich mit diesem Studiengang ansteuern können, erhalten wir eine relativ weitläufige Antwort: Alles und nichts! Eine derartige Aussage ermuntert natürlich zu Spekulationen - entmutigt uns jedoch nicht. 
Auch Donnerstag werden wir erneut darauf hingewiesen, wie breit gefächert unser Studiengang doch ist: Eine Kombination aus Religionswissenschaft, Kultur- und Sozialanthropologie und Europäischer Ethnologie ist in Deutschland, wenn nicht auf der ganzen Welt, einmalig. Und wir, neunzig Erstsemester, haben ihn gefunden. In der Einführungsvorlesung wird uns zu unserer Entscheidung gratuliert. Wir hätten Glück. Ein bisschen geschmeichelt blicken wir uns um. 
Ob das stimmen mag? Oder doch nur reine Floskel ist? Obligatorischer Satz der Begrüßung oder doch bescheidene Darstellung einer großen Wahrheit? 
Noch wissen wir es nicht. 
Aber Eines ist gewiss: dies ist der Beginn von etwas Neuem, etwas Großem. 
Und wir freuen uns darauf. 

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