Dienstag, 19. Oktober 2010

Mittwoch: Neue deutsche Inflation

Während der Vormittag des heutigen Tages beinahe gemütlich verläuft – nämlich mit der Vorstellung der Gebäude der Religionswissenschaft und der Völkerkunde –, fordert der Nachmittag Kreativität, Eloquenz und Ausdauer zugleich. Was sich nach viel anhört, ist eigentlich recht simpel: wir sollen Dinge tauschen, erhalten Teebeutel, die wir gegen beliebige Gegenstände im Dialog mit der Marburger Bevölkerung wechseln sollen.
Am Ende des Tages wird von einer Jury entschieden, welcher getauschte Gegenstand gewinnt.
Etwas schleppend verlassen wir die Biegenstraße 9 und scannen die Straßen nach Tauschobjekten. Wir begegnen einer anderen Ersti-Truppe, deren vermeintlicher Chef ein großes Plüschhuhn auf dem Kopf trägt und keine Sätze (mehr) sprechen kann. Wir fragen nicht nach dem Studiengang. Doch für einen Teebeutel tauschen sie einen Fahrradsattelregenschutz ein.
Weiter geht’s; wir tauschen uns über die Lahn hin zur Mensa, tauschen uns von dort in die Oberstadt – und müssen immer wieder die Erfahrung machen, dass das Tauschspiel in vielen Marburgern nicht dieselbe Begeisterung hervorruft; oft betreten wir Geschäfte, ohne unser Anliegen tatsächlich vorbringen zu müssen – denn sie ahnen bereits, was wir vorhaben und so legen sie teils wortlos eine Bürste, ein Feuerzeug oder Bonbons auf den Tresen. In einem kleinen Laden erlebt die Inflation der 1920er Jahre eine Renaissance, denn hier wird ein 100-Mark-Schein bereitwillig gegen ein blaues Sandförmchen Modell Schildkröte getauscht. Ein Antiquar wiederum scheucht uns hinaus; hier wird nichts getauscht!

Mittlerweile haben wir unsere Sammlung von einem Gegenstand erweitert; mit einer ganzen Kiste laufen wir durch die Oberstadt. Sie ist gefüllt mit Stickern, einer Kerze, Tee, einem kleinen Schneemann, Karten, Lesezeichen, einem Ratgeberbuch für Frauen über den Umgang mit Männern, einem Spiegel und vielem mehr. Doch den Gegenstand, der für uns ins Rennen gehen wird, erhalten wir in keinem Geschäft; wir treffen ihn auf der Straße. Ein eiliger junger Musiker hetzt an uns vorbei, doch wir halten ihn auf und nach einigen kurzen Worten der Erklärung schenkt er uns eines seiner Plektren. Man kann Bart Simpson darauf erkennen, genau so die Spuren des jungen Musikers, denn das Plektron ist bereits arg genutzt worden. Mit einem so individuellen Gegenstand in der Tasche, mit einem Gegenstand, der eine Geschichte erzählt, beenden wir unser Tauschspiel und fast erleichtert steuern ein Café an.

Als wir schließlich in versammelter Runde und unter Beobachtung der Jury unsere Tausch-Odyssee vorbringen, schaffen wir es auf den zweiten Platz; geschlagen werden wir nur von einer Geschichte aus Tauschgegenständen, an deren Ende eine Plastikpalme steht. Das können wir verkraften.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen