Dienstag, 5. April 2011

"Stillstand ist der Tod"

Meint zumindest Herbert Grönemeyer, den ich als ordentliche Bochumerin wohl mindestens einmal im Laufe meines journalistischen Werdeganges zitiert haben muss.
Heute und hier bietet sich also die Gelegenheit: denn obwohl der Erstiblog über anfängliche Turbulenzen im Leben eines Erstsemesters an dieser Stelle ein Ende findet, geht es weiter: nämlich mit neuen Erfahrungen und diskussionsfreudigen Beobachtungen im Marburger Studentenleben.

Ihr alle - wirklich alle – seid herzlich eingeladen, mich auch weiterhin auf meinem Weg zur Akademikerin zu begleiten. Dies könnt ihr unter www.marburgaufdenzweitenblick.blogspot.com gerne tun.

Danken möchte ich an dieser Stelle all denjenigen, die diesen Erstiblog gelesen haben und mich bzw. die Kulturwissenschaft als solche unterstützt haben!

Sonntag, 27. März 2011

Dreist gewinnt

Es ist  einer meiner letzten Tage in Marburg, bevor ich mich auf den Heimweg ins Ruhrgebiet begebe. Schon lange ist die Stadt leer, doch gerade scheint es, als stünden alle Studenten im Bahnhof am Schalter, um sich eine Fahrkarte zu kaufen.

Die Schlange der Anstehenden ist tatsächlich sehr beachtlich und nur langsam schiebt man sich und seinen Koffer vorwärts. Die Stimmung an diesem Morgen ist zäh, ein bisschen müde, und genau dies scheint auch eine clevere Seniorin zu bemerken. Freundlich nickend schiebt sie sich an den wartenden Studenten vorbei, lächelnd und steuert zielgerichtet den gerade freiwerdenden Schalter an.

Fassungslosigkeit ist uns anderen in die Gesichter geschrieben, verwunderte Blicke werden ausgetauscht und kommentarlos beobachten etwa fünfzehn wartende Menschen, wie die ältere Dame sich gekonnt die notwenigen Informationen einholt.
Letztlich nickt sie zufrieden, doch ihr Auftritt vor einem zusammen gewürfelten Bahnhofspublikum ist noch nicht vorbei. Anstatt nach rechts abzugehen, wählt sie siegessicher den Rückweg durch die Schlange. Wieder nickt sie und lächelt scheinbar jeden von uns einzeln an. „So muss ich nicht warten“, erklärt sie. 

Wir gucken ihr hinterher. Später sehe ich sie Tauben füttern.
Es wird Zeit, nach Hause zu fahren. 

Dienstag, 15. März 2011

Ein rostiger Nagel

Das Semester neigt sich seinem Ende zu und so mancher Kreis schließt sich. Beinahe zufällig geschieht es also, dass wir uns an einem Abend wieder im Delirium befinden, in der Kneipe, in die mich meine Mitbewohner an meinem ersten Abend zerrten.
Schon da umgab den Rostigen Nagel beinahe eine Aura der Unnahbarkeit und wie es sich für einen Ersti gehörte, zeigte ich mich damals beeindruckt und staunte, wie zwei meiner Mitbewohner sich die Mischung aus Tabasco und einer ominösen Geheimzutat X verabreichen ließen.

Trüb das Foto, rostig das Pinnchen
Heute also bin ich an der Reihe; teils aus Spaß an der abwegigen Idee, teils aus kindlicher Neugierde bestellen wir eine Reihe Rostiger Nägel. Und so viel sei gesagt:  von einer wirklichen Empfehlung kann man hier nicht sprechen; viel eher ist der rostige Nagel ein Phänomen, eine Spirituosen-Erscheinung, die fasziniert. Denn er veranlasst all jene, die ihn bereits zu sich genommen haben, dazu, mehrfach zu betonen, wie furchtbar er doch schmecke. 
Das ist schon in kulturwissenschaftlicher Hinsicht beachtlich. Denn der Mensch ist ein Affe; er tut meistens das, wovon ihm abgeraten wird, nur um tatsächlich das bestätigen zu können, was zuvor bloße Behauptung war. Und er tut es, um sich lauthals in die Heldenreihe derjenigen einzutragen, die den Teufelstrunk bereits zu sich nahmen.

Als Ersti ist man vielleicht derartigen Äußerungen gegenüber noch anfällig und so sehe auch ich mich einem Rostigen Nagel gegenüber. Ein wenig unscheinbar steht er vor mir, doch der Inhalt sieht tatsächlich leicht rostig aus und verheißt nichts Gutes.

An dieser Stelle möchte ich sagen: Liebe Leute, ihr, die ihr noch nicht zu diesem unschätzbaren Vergnügen gekommen seid, einen rostigen Nagel getrunken zu haben, euch sei gesagt: Ihr müsst ihn nicht trinken. Er schmeckt furchtbar und ist keine zwei Euro wert.

Freitag, 4. März 2011

Der Luxus der Kulturwissenschaft

Nur wenige Tage bleiben wir in Cáceres, bis wir schließlich nach Mérida fahren, das nur eine Autostunde entfernt ist und südlicher liegt. Als Kulturwissenschaftler können wir uns gegen einen Besuch des römischen Museums und des alten Amphitheaters – in dem wir und etwa hundert andere Touristen eine Hochzeit  miterleben – nicht wehren.
Neben einem Tagesausflug nach Bádajoz und dem Besuch des dortigen Museums, ist dies der Teil der Exkursion, der uns selbst am meisten Freiraum bietet, und geradezu erschlagen von den Eindrücken, und begeistert von dem guten Wetter, verbringen wir die meiste Zeit auf den Plazas Méridas.

Doch je mehr Freizeit wir in Mérida haben, desto schneller vergeht sie auch. Und so sitzen wir  nach zehn arbeitsintensiven, erholsamen und vergnüglichen Tagen wieder im Flieger, verlassen Spanien und die Extremadura. 
Wir sind froh, nicht mehr aus dem Koffer leben zu müssen; schon beinahe jeder von uns hat nach zehn Tagen den Punkt erreicht, an dem er sich – geradezu gezwungen durch den spanischen Schlussverkauf – neue T-Shirts gekauft oder eben alte in Hotelbadezimmern von Hand gewaschen hat.
Schon im Madrider Flughafen freuen wir uns auf Körnerbrote und niedrige Lebensmittelpreise. Doch eben so, wie deutsche Alltäglichkeiten zum Luxus wurden, geschieht es uns nun genau so mit dem spanischen Leben, an das wir uns bereits so gewöhnt haben. Zu allererst sind da die Sonne und die Wärme, aber eben auch die Oliven, Chips oder Cracker, die zum Bier gereicht werden. Und genau so die Überraschung, die uns die Extremadura bereitete mit ihrer Vielseitigkeit und ihrer rauen und doch beeindruckenden Schönheit. 

Aber was haben wir gelernt auf dieser Reise, auf dieser Exkursion, die meinen Studiengang im Gespräch mit anderen immer zwielichtiger erscheinen ließ und meine Gesprächspartner mit Fassungslosigkeit strafte? („Ihr fahrt mit der Uni nach Spanien?“ - "wir gucken uns die Extremadura an." - "Ihr guckt euch eine Gegend an?!")

Nun, eine Gegend tatsächlich erleben zu können, die man bisher nur aus (Tourismus-)Filmen kannte, ist natürlich ein Unterschied. Und dennoch ist es im Falle der Extremadura ein immenser; denn scheinbar verlacht vom Reste Spaniens, präsentierte sich die Gegend rund um Cáceres in einer erstaunlichen Schönheit. Das Feld, das in unserem Studiengang eine ganz besondere und existenzielle Funktion beinhaltet, erfährt einen neuen Stellenwert. 
Denn es ist tatsächlich einiges daran, sich ein eigenes Urteil zu bilden; hätte es die Exkursion nicht gegeben, so hätte auch ich nicht viel von diesem Landstrich Spaniens gehalten, hätte Bilder schwarz-weißer Berge und unzugänglicher Täler vor Augen, in denen kein Mensch lebt.  
Umso schöner also, dass wir dort waren. 

Extremadura: Wie Hessen, nur anders

Bevor wir Madrid am Montagmittag verlassen, führt uns unser Professor Dr. Karl Braun in die Filmoteca espaniola, wo wir uns auf den eigentlichen Grund unserer Reise einstimmen wollen: die Extremadura. Noch einmal sehen wir uns Luis Bunuels Film Las Hurdes – tierra sin pan an, unter dem die Region der Extremadura seit beinahe achtzig Jahren leidet.
Studentenstadt Cáceres: Marburg, nur in Spanien
Wir sind gespannt, diese Gegend nun selbst zu betreten. Wir kommen nicht unwissend daher, -  das denken wir zumindest noch in der Filmoteca espaniola; wenige Stunden später bemerken wir, dass auch unser Blick auf die autonome spanische Gemeinschaft durch das Seminar beeinflusst ist. So zeigen wir uns beispielsweise verwundert, als wir die Grenze zur Extremadura überschreiten und ein reiches und farbenfrohes Land sehen; - durch die zahlreichen Schwarz-weiß-Filme zur visuellen Repräsentation dieser Gegend sind wir beinahe davon ausgegangen, eine ebenfalls schwarz-weiße Region zu Gesicht zu bekommen.

Doch in der Extremadura scheint die Sonne.
Es ist wärmer als in Madrid und ein jeder und eine jede von uns soll diesen Ort nicht ohne einen Sonnenbrand verlassen. Im klimatisierten Bus fahren wir vorbei an Storchennestern und alten Burgen wie etwa Trujillo, dem Geburtsort Hernan Cortes, dessen Statue wir noch oft im Laufe der Reise begegnen werden.

Das iberische Schwein hielt sich versteckt
Langsam gelangen wir in das hügelige Land der Extremadura; nur 100 Kilometer trennen uns von der portugiesischen Grenze. Schließlich, vier Stunden entfernt von Madrid, erreichen wir Cáceres. Schon auf den ersten Blick ist zu erkennen, warum sich gerade hier eine der Partnerhochschulen der Philipps-Universität befindet; ähnlich wie die Marburger Oberstadt, zieht sich die Altstadt Cáceres auf einem schmalen Berg entlang, zu deren Hängen und Füßen neuere Gebäude Platz beanspruchen; den einzigen Unterschied markieren Palmen und die maurische Architektur, die in der Altstadt Cáceres deutlich zu vernehmen ist.

Drei Tage bleiben wir hier; und wie in Madrid, besuchen wir auch in Cáceres die Filmoteca de Extremadura, in der wir eine kleine Führung erhalten; wir bekommen die Gelegenheit, den extremensischen Comiczeichner Fermín Solís zu treffen, dessen Buch zu Bunuel ebenfalls Gegenstand des Seminars war. Man überhäuft uns mit Geschenken, und in Gedanken runzeln wir beinahe ängstlich die Stirn, wenn wir an die Limitierung unseres Handgepäcks denken. 

Unterschätzt: In der Extremadura ist es schön
Einen Höhepunkt der Reise erleben wir, als wir die Stadt am kommenden Tag verlassen und den unscheinbaren Ort Malpartida de Cáceres erreichen. Zunächst stellt sich uns die Frage, was wir hier, in dieser steinigen und scheinbar menschenleeren Gegend außer der Einsamkeit der Hurden gefunden haben. Doch schon bald bestätigt sich ein bereits gedachter Gedanke: die Extremadura wird hemmungslos unterschätzt; sie ist unbekannt, dabei birgt sie unzählige Schätze; fast einen ganzen Tag verbringen wir im Museum des deutschen Fluxuskünstlers Wolf Vostell, den es ebenso in die Extremadura verschlug, und dessen Arbeiten wir hier, in seinem ehemaligen  Wohn- und Werkhaus, begutachten können. 
Eine andere Spezialität der Extremadura hingegen bleibt uns gänzlich verschlossen: das schwarze Schwein, cerdo iberico, das angeblich so charakteristisch für die Gegend ist, will uns auch nach einer Woche in der Extremadura nicht begegnen. 

Doch obgleich einige von uns über diese versäumte Attraktion geradezu betrübt sind, rettet uns in jenen Tagen das Wissen um das deutsche Klima; während wir uns gegen Mittag in den angrenzenden Batuecas des Museums nach einem ausgiebigen Picknick in der Sonne räkeln oder gar im nahe gelegenen See schwimmen gehen, ereilt uns die Nachricht, dass man in Deutschland Minusgrade verzeichnet. 

"Nach Madrid ist nur der Himmel schöner!"

Was den Chemikern das Labor ist, ist den Kulturwissenschaftlern die Exkursion. Und recht früh zu Beginn meines Studiums und durch das Glück, die richtigen Seminare besucht zu haben, konnte ich eben an einem solchen Erlebnis teil haben. 
Zum ersten Mal betrete ich als angehende Kulturwissenschaftlerin ein anderes Land.  Merkwürdig, denn obgleich ich noch eher Ersti als "Zweiti" bin, bemerke ich bereits auf dieser ersten Reise den Einfluss meines Studiums und verzeichne, stolz wie King Louie, einen geschärften Blick, die erfolgreichen Auswirkungen eines Semesters Hermeneutik. Ein Hochgefühl, wenn man Gelerntes anwenden kann. 

Unsere Reise beginnt an einem nebligen Freitagnachmittag im März und nichts weist darauf hin, dass wir in wenigen Stunden schon in Spanien sein werden. Mit dem Zug geht es zunächst nach Frankfurt und von dort  weiter zum Flughafen. Scheinbar keiner von uns ist irgendwie in Urlaubslaune – gut, um einen Urlaub handelt es sich hier nun auch nicht -, in letzter Eile haben wir gepackt, zuvor die letzten oder eben auch die ersten Klausuren dieses Wintersemesters geschrieben, beinahe mühsam erscheint der Weg zum Gate und die anschließenden Stunden des Wartens, Fliegens und Kofferschleppen.  

In Madrid gelandet, ist es halb elf. Vom Flughafen aus nehmen wir die Métro und staunen über das spanische Nachtleben; es ist ein Uhr nachts, als wir die Puerta del Sol im Herzen Madrids erreichen; und trotz der schon fortgeschrittenen Stunde, haben wir das Gefühl, dass es nicht später als zehn Uhr sein kann: Menschen lassen sich über den Platz treiben, Jugendliche lachen und grölen, Pärchen schlendern an uns vorbei oder schieben Kinderwägen über den Platz. Bei so viel Leben, werden auch wir wieder lebendig und obgleich wir noch eben todmüde waren, dauert es nicht lange, und schon sitzen auch wir zu elft in einem Jazzclub nahe der Plaza Santa Ana.

Die folgenden zwei Tage stehen ganz im Zeichen Madrids. Beflügelt von einem unglaublichen Frühstück mit Croissants und echt flüssiger Schokolade - zu der aus einem unergründlichen Grund trotz allem ein Päckchen Zucker gereicht wird -, erkunden wir die spanische Hauptstadt. 
Und weil Feldforschung Unbekanntes voraussetzt, genießen wir nicht nur eine exklusive Stadtführung  und die ein oder andere Cania auf den Plazas Madrids, sondern besuchen auch das Gula Gula; einen Ort, für den es keine Beschreibung gibt. Man mag es mir nachsehen, doch bei diesen wenigen Worten soll es bleiben. 
Etwas gesitteter geht es in den beiden großen Museen Madrids von Statten, dem Prado und dem Museo Reina Sofia, die wir jeweils Samstag und Sonntag aufsuchen, und in denen wir Stunden verbringen. 
Aber Kunst macht hungrig, und so begegnen wir gleich in diesen ersten Tagen dem genüsslichen Verzehr von Bocadillos. Bocadillos, das sind teils spärlich, teils großzügig belegte Baguettes, die man nach spanischer Manier mit scheinbar allem kombinieren kann; so geschieht es nicht selten, dass wir Kartoffeln oder eine gequetschte spanische Tortilla zwischen den Brothälften finden. 

Eine weitere Sitte des modernen spanischen Lebens scheint das Einkleiden von Hunden, und obwohl wir nicht wenigen modebewussten Vierbeinern begegnen, können wir uns bis zu unserer Abreise nicht an Windhunde in Wollpullovern gewöhnen.

Donnerstag, 17. Februar 2011

Alles hat ein Ende ...

Wir haben Mitte Februar und ein Semester geht vorbei; es ist das erste Semester, das ich in meinem Leben als Studentin absolvierte, mein erstes Semester an der Philipps-Universität Marburg.
Dass die Ferien nicht mehr weit von uns entfernt sind, ist beinahe überall bemerkbar: die Hörsäle leeren sich, in der Mensa findet man sofort einen Platz, nur vereinzelt strömen Studenten in die Biegenstraße oder von der Phil-Fak zur Mensa. Und während sich alles langsam auf die Ferien vorbereitet oder schon zu Hause sitzt und den angeblich fehlenden Schlaf von vier Monaten nachholt, nutze ich die Zeit, um dieses erste Semester ein wenig Revue passieren zu lassen.

Mensaimpressionen
Wenn ich an den Beginn meines Studiums im Oktober denke, fällt mir sofort die Orientierungswoche ein, genau so Klopapierwettrennen, Gordische Knoten am Marktplatz und das Weidenhäuser Entenrennen, bei dem unsere Marge noch immer als heimliche Siegerin auf ihre Ehrung wartet. 
Mittlerweile weiß ich, was man in der Mensa essen kann, und was man sich lieber nicht aufs Tablett laden sollte; ich weiß, wie lang ein Weg zur BIB im Schnee und auf vereisten Wegen sein kann und wie ich wissenschaftlich korrekt zitiere. 

Man mag denken, dass sich bestimmte Dinge verändern, dass sich eine gewisse Routine in den Unialltag einschleicht und dass man recht leicht vom nervösen Erstsemester zum lässigen Zweitsemester wird. Doch ein bisschen betrübt stelle ich fest, dass sich zumindest die Erstellung eines Stundenplans auch mit dem Wissen eines gesamten Erstsemesters als noch immer schwierig erstellt.

Marburg im Oktober: Marge im Dreck 
Abgesehen von dieser Kleinigkeit, kann ich jedoch behaupten, dass mein Studium der Vergleichenden Kultur- und Religionswissenschaft keine weiteren Tücken bereit hielt; ganz entspannt und Erstigerecht verlief das erste Semester, und mit jedem weiteren Seminar, das ich besucht habe, haben sich mir neue Horizonte erschlossen.  
Das klingt beinahe wie der verliebte Eintrag im Tagebuch einer Elfjährigen, und doch kann ich es einfach so behaupten. Mein Studium beinhaltet tatsächlich wenig Hindernisse, dafür umso mehr Überraschungen, - im Prinzip so, wie man es sich wünscht. 

Recht euphemistisch und wohl gestimmt, verlasse ich also meinen Posten des Erstsemesters. Doch bevor dies geschieht, bevor ich mich in die Ferien begebe und zum Zweitsemester werde, steht noch eine Exkursion nach Spanien an ...  

Donnerstag, 10. Februar 2011

Ein Foto-Guck-Erzähl-Abend


Was den Medizinern das PJ ist, ist den Ethnologen das „Feld“. In einem Studiengang, der auf Geschichte aufbaut, eine praktische Ebene zu fassen, scheint manchen – gerade in Verbindung mit dem Wort Ethnologie oder Völkerkunde – befremdlich. Doch das „Feld“ verknüpft Theorie und Praxis, Vorstellung und Wirklichkeit, und die sollte man nie voneinander zu trennen versuchen.

Einen Artikel über das Wesen der Feldforschung habe ich bereits vor einigen Wochen verfasst. Warum also schon wieder dieser Begriff, diese fabelhafte Erzählung von diesem „Feld“?

Was die Ethnologie kann, was die Anthropologie vermag, und wohin sie uns führen können, bewies die gestrige Veranstaltung in der Europäischen Ethnologie: ein Foto-Guck-Erzähl-Abend wurde gehalten, bei dem zwei Ethnologen / Kultur- und Sozialanthropologen bzw. Religionswissenschaftler vom Einsatz in ihrem persönlichen „Feld“ berichteten: Stéphan Voell zeigte Bilder aus Georgien, berichtete von den dort ansässigen Swanen und seiner Forschung zum Thema „Traditionelles Recht“. Im zweiten Teil des Abends erzählte Leyla Jagiella von ihren Reisen nach Indien, ihren Aufenthalten in Delhi und dem Wohnen in einem Hijra-Haus. 

Dass diese Art des wissenschaftlichen Vortrages eine gewisse familiäre Atmosphäre beinhaltete, zeigt nicht nur der Name; etwa drei Stunden lang, bei Kuchen und Apfelsaft, wurde viel erzählt, gefragt, gelacht und gestaunt. Denn ein längerer Aufenthalt in Ländern wie Georgien oder Indien lebt ganz besonders von der Begegnung mit der fremden Kultur, von Geschichten und Begebenheiten, die mal lustig, mal traurig, mal anstrengend, aber immer spannend sind. 

In einem Studium, in dem vieles ungewiss erscheint, war dieser Abend auch für Erstsemester eine willkommene Veranstaltung, da etwaige Antworten auf die Frage "Wo gehst du hin?" oder "Weshalb Ethnologie?" geliefert wurden. 
Ich denke, für viele sprechen zu können, wenn ich behaupte, dass ein derartiger Foto-Guck-Erzähl-Abend durchaus und gerne eine gewisse Regelmäßigkeit erhalten darf.

Freitag, 4. Februar 2011

Bitte lächeln Sie nicht

Trauriger Datenschutz

Das Studium an sich ist ein relativ großer Schritt; zur Eigenständigkeit, zur Wissenheit und – an manchen Tagen – auch zur Ratlosigkeit. Bereits nach wenigen Monaten sind wir sensibilisiert genug,  um dem Tatgegenstand unseres Studienfaches tagtäglich zu begegnen. Überall, wo wir hingehen, beobachten wir viel genauer; die unsichtbar gesponnenen Fäden der Alltagsanthropologie werden mit einem Male sichtbar, als hätten wir einen Indikator über unserer Welt ausgeschüttet und schon leuchtet alles Bemerkenswerte in einem grellen Pink oder Violett auf.

So zum Beispiel, als ich mich schließlich – als weiteren Schritt zur Unabhängigkeit – nach Marburg ummelden will. Dies tut man am besten im Stadtbüro, das auf den ersten Blick ein feiner Ort ist. Freundlich und hilfsbereit begegnet man uns am Empfang, wir erhalten Papier und Stift und ziehen schließlich ein Nümmerchen, das unsere Position in der Warteschleife markiert.

Es dauert nicht lange und schon leuchten die Nummern 339 und 340 auf. Und ab diesem Punkt ist mein Besuch von ernüchterndem Bürokratismus geprägt. Ich nehme gegenüber einer Dame Platz und erkläre ihr mein Anliegen; ich möchte mich ummelden. Und da geht es auch schon los:  
Ich sei zu spät. 
Aber ich wohne doch immer noch hier!?
Man schenkt mir einen Blick, als wäre ich schwer einzuschätzen, ein Kind mit unterdrückten Aggressionen. Ich schaue nach links; meine Begleitung, die sich am Nebentisch ummelden lässt, scheint in ein gemütliches Gespräch verwickelt. Ich höre sie lachen.
Ob ich vorhätte, länger zu studieren? 
Nun ja. Ja! Aber eben nicht länger als nötig, - wer kann eine derartige Aussage schon im ersten Semester treffen? Ich bin verwirrt. Die Dame mir gegenüber runzelt die Stirn und schreibt flink etwas auf Papier, so, als wären wir nicht im Stadtbüro, sondern in einem Assestment Center. 
Ich selbst druckse ein bisschen herum, die Dame schiebt mir Formulare zu, die ich ausfülle. Schließlich erhalte ich Gutscheine fürs Kino und fürs Schwimmbad, auf denen groß: In Marburg @ home steht. Es ist offiziell, aber wenig herzlich. 
Ich bin also umgemeldet; wohne nun ganz wirklich in Marburg. Mein Anliegen im Stadtbüro geht jedoch in die zweite Runde, denn ich brauche einen neuen Personalausweis, so einen mit Chip. 
Die Dame nickt, während sie ganz geschäftig Papiere ordnet und auf ihrem Computer hin- und herklickt.  

Um meinen Personalausweis zu erneuern, benötige ich Passfotos. Ob ich die hätte? Ja, aber natürlich, schließlich habe ich mich doch auf diesen Besuch vorbereitet. Ich krame in meiner Tasche und serviere eine Viererreihe von Bildern, die mich in recht gleichgültiger Stimmung zeigen.
Die Dame mustert meine Fotos.
„Ihr Kopf ist zu klein“, sagt sie.
Ich reagiere mit ungespielter Ungläubigkeit. „Mein Kopf ist zu klein?“ Immerhin; für einen Geisteswissenschaftler ist eine derartige Aussage beinahe eine Beleidigung. 
Da, - schon wieder dieser Blick. Sie ordnet meine Unterlagen, schiebt sie zur Seite und sieht mich an wie eine Kioskverkäuferin, die einem Erstklässler erklärt, dass man sich mit 3 Cent in der Tasche keine Colakracher kaufen kann. Ätsch.
„Unten haben wir einen Passbildautomaten; da können Sie neue Bilder machen.“ Der Fall ist erledigt. Ich habe keine andere Wahl. Im Stadtbüro entscheiden höhere Instanzen.

Verwirrt erhebe ich mich, während schon die nächste rote Nummer aufblinkt und ein anderer Mensch an ihren Tisch schreitet. Ein bisschen wütend über die Dame, ein bisschen wütend über meinen kleinen Kopf gehe ich unschlüssig zu besagtem Automaten. Dort werde ich noch wütender. 6 Euro kostet der ganze Spaß. Dafür muss ich meine Brille absetzen, und lustig wird es auch nicht. „Bitte lächeln Sie nicht“, sagt die Automatenstimme und ich frage mich, ob dies ein Befehl ist, der im ganzen Stadtbüro gilt. Eine Antwort auf diese Frage werde ich nicht bekommen; und blicke mit Maulwurfaugen in die Kamera.
Meine deutsche Identität ist teuer, blind und bitter.

Schließlich kehre ich zurück zu der Dame. Es ist halb sechs, in einer halben Stunde schließt das Stadtbüro, aber es sind noch viel mehr Menschen hier als vor fünf Minuten. Ich ziehe wieder eine Karte und beobachte mein Umfeld. Die meisten Menschen sehen müde aus, viele haben ihren Kopf auf ihren Schultern abgelegt, so als würde er tatsächlich zu klein und zu schwer sein, als dass man ihn obenauf trägt. Einige schlafen. 
Um 17:40 Uhr komme ich endlich an die Reihe und es scheint, als hätten sich in meiner Abwesenheit die Wogen geglättet; die Dame lächelt mir zu. 

In einer beachtlichen Geschwindigkeit wird der Antrag um meine Person abgewickelt; ich zeige die Fotos, die der Automat von mir gemacht hat, und die Dame nickt. Mein Kopf ist also groß genug, - es ist alles eine Frage der Darstellung. 
Ob ich meine Fingerabdrücke abgeben will? Ich zögere. Ob es mich auch etwas kostet? Die Dame schüttelt den Kopf. Fingerabdrücke doch nicht. Ich weigere mich trotzdem, man weiß ja nie.

Bevor ich mich erhebe und die Welt des Lächelns betrete, werde ich noch über die Möglichkeiten des Online-Personalausweises aufgeklärt; denn schon bald kann ich meinen Personalausweis dazu nutzen, virtuelle Orte aufzusuchen, und mich frei im Web bewegen.
Ich stutze. Seit wann muss ich mich im Internet ausweisen? Ich fühle mich wie der Hauptmann von Köpenick, aber eine Uniform hilft mir im Stadtbüro auch nicht weiter. 
Ich resigniere. 
Die Dame nickt mir zu. 
Ich kann gehen. 

Donnerstag, 27. Januar 2011

Zweifel und Gewissheit

Höret und staunet: Abiturienten im Hörsaal 11
Das erste Semester ist beinahe vorbei; ab und an scheint sogar die Sonne in Marburg und vollkommen optimistisch spekulieren wir, wie wohl der Sommer in dieser zauberhaften Stadt sein wird. Den Prüfungsstress, mit dem sich andere Studiengänge herum schlagen, können wir beinahe nicht nachvollziehen, so überschaubar ist die Anzahl von Klausuren; Ende Februar geht es für einige Kommilitoninnen und mich nach Spanien, - es klingt nicht nur so, es ist auch so: ich studiere genau das Richtige. 

Dass das nicht alle so sehen, die mit mir das Studium im Oktober begonnen, wird in den Seminaren und Vorlesungen deutlich; es mag am Semesterende liegen, aber auch an der Tatsache, dass viele persönliche Vorstellungen auf beiden Seiten nicht erfüllt werden konnten. Fluktuation gibt es in jedem Studiengang, und doch finde ich mich in fast kindlichem Staunen wider, sobald ich höre, dass ein weiterer Kommilitone nicht mehr dabei ist. Genau so wächst jedoch auch die Überzeugung derjenigen, die noch mit im Boot sitzen, denn sie wissen, dass dieser Studiengang, diese Stadt und diese Möglichkeit etwas ganz Besonderes darstellen.  
Um diese frohe Botschaft hinaus zu tragen, fanden gestern und heute die Tage der offenen Universität statt; im Rahmen dieser Veranstaltung nutzte auch unser beschaulicher Studiengang die Möglichkeit, sich einer breiteren, wissbegierigen Menge von Abiturienten zu präsentieren. 

Starthilfe in der unbekannten Hochschulwelt: Hörsaalkritzelei
Fast zwei Stunden wurden benötigt, um dem Studiengang der Vergleichenden Kultur- und Religionswissenschaft gerecht zu werden, und auch für uns, die wir nun schon mitten in der Materie stecken, war es schön, mit anzusehen, welche Freiheiten wir in unserer Fächerwahl genießen, wohin uns unsere Wahlpflichtmodule oder Lehrforschungsprojekte noch bringen werden und welche Wege wir einschlagen können. 

Sicherlich – die berühmt berüchtigte Frage nach der Berufswahl konnte, wie immer, nicht eindeutig geklärt werden; zu vielseitig sind die Möglichkeiten, zu einseitig die Fragestellung. Und doch: sowohl auf den Gesichtern der Fragenden, als auch auf denen der Antwortenden oder der teilnehmenden Beobachter legte sich Zufriedenheit; gekoppelt mit der Gewissheit, genau das Richtige zu studieren. 

Freitag, 21. Januar 2011

Nachts. Auf den Lahn-Bergen

- Chemie ist, wenn es knallt und pufft

Würde man Studiengänge wie Spielfilme in einer TV-Programmzeitung auflisten und sie in den Kategorien Humor, Romantik oder Thriller beurteilen, würde der Studiengang der Vergleichenden Kultur- und Religionswissenschaft sicherlich nicht schlecht abschneiden; dass es bei uns lustig ist, ist keine Frage, romantisch ist der Gedanke an Feldforschung und einem Thriller gleich mag die Jobsuche nach einem abgeschlossenen Ethnologiestudium sein. Doch es gibt einen Bereich, den das Fach Chemie – zumindest am gestrigen Abend – besser abdeckt: Action.

So sieht es aus, wenn Chemiker nicht schlafen gehen
Von meinen Mitbewohnern überredet und mit Pizza bestochen, sause ich um kurz nach Acht auf die Lahnberge, um ein wenig Action zu erleben. Die lange Nacht der Chemie findet statt und im Jahr der Chemie kann man sich derartigen Veranstaltungen wohl kaum entziehen.
Es ist das erste Mal, dass ich auf den Lahnbergen bin; es ist dunkel und kalt und Philipps Schloss, das mir wie ein Kompass zur Orientierung dient, ist weg bzw. nicht sichtbar. Eine gute Mensa soll es auf den Lahnbergen geben, aber damit kann man mich gerade nicht locken. Bin ich noch in Marburg?

Auf dem Parkplatz angekommen, sieht es nicht so aus, als ob dieser Ort Leben vorsieht; es ist leer und verirrte Neonlampen leuchten uns den Weg zu grauen Gebäudekomplexen. Einen Preis hat die Chemie angeblich bereits erhalten, für ihre klare, strikte und brutale architektonische Besonderheit. Ich bin skeptisch.  
In einer verqueren Odyssee hasten wir durch das Treppenhaus, nehmen drei Schritte auf einmal und mir bleibt kaum Zeit, den Ort, an dem wir uns nun befinden, genauer zu untersuchen. Schließlich folgen wir nicht mehr den Schildern, sondern dem Lautstärkepegel; der Hörsaal A kocht. 

Etwa zweihundert Studenten sitzen hier, dicht getränkt, mit Pizza und Bier und beobachten drei weißgekleidete Chemiker, die lauter Explosionen bewirken; es knallt und pufft, die Chemiker lachen und es herrscht eine ganz berauschende Atmosphäre.
Kawumm: Eine zaghafte Wolke  ist alles, was bleibt
Wir haben Glück und ergattern einen Sitzplatz in der letzten Reihe. Schon jetzt vermerke ich eine absolute Reizüberflutung; so viele Eindrücke, die es zu verarbeiten gilt, so viele Dinge, die ich vorher noch nie gesehen habe. Doch es kommt noch besser: während wir langsam wieder zu Atem kommen, erklären die drei Praktizierenden ihr nächstes Vorhaben: im Rahmen des Themas Hören, Riechen, Sehen wollen sie mittels der Chemie verschiedene Sinne ansprechen.  „Wir werden jetzt versuchen, den Duft eines frisch gebratenen Steaks herzustellen“, erklärt einer von ihnen und die studentischen Reihen jauchzen. Es dauert ein wenig, bis der Duft dank eines Ventilators bei uns angekommen ist; zu unserer Enttäuschung riecht es eher nach zu vielen verbrannten Zwiebeln und Popcorn. Was Chemie nicht alles kann.
Im Laufe ihrer Vorführungen zünden die Drei ein Gummibärchen an und lassen Flüssigkeiten leuchten; ein Feuerball explodiert und Wunderkurzen fangen an, lustige Geräusche von sich zu geben. Ich bin mir nicht sicher, auf welche Weise man diesen Abend am besten verbringt: als Chemiker, der die Vorgänge versteht, oder als unwissender Kulturwissenschaftler, der den Geschehnissen mit der gleichen Faszination gegenüber steht wie ein Neandertaler einem Sonnenuntergang. 

Nach etwa einer Stunde kommt das offene Versuchslabor seinem Ende entgegen; jetzt folgen Vorträge. Ich bin gespannt, - und werde nicht enttäuscht. Klaus Roth von der FU Berlin erklärt in einem fast eineinhalbstündigen Vortrag die Geschichte des Mutterkorns und seine Bedeutung für die Menschheit. Um den Bogen vom Mittelalter zu den Beatles und deren Song Lucy in the sky with diamonds bis hin zu LSD zu spannen, wagt er sich sogar in die Kunstgeschichte vor und erzählt vom Isenheimer Altar in Colmar. Vielleicht sind Chemiker und Kulturwissenschaftler doch nicht so unterschiedlich. 
Um Mitternacht verabschieden auch wir uns von der Chemie, dabei ist das Programm noch längst nicht zu Ende. Abschließend, so sagt man mir, wird wieder experimentiert. Doch mir reicht dieser erste Ausflug in die Chemie; ich bin positiv überrascht und für einen Moment fast traurig, dass ich mir Ionen, Doppelhelixbindungen oder Atome so schlecht vorstellen kann. Aber für jeden gibt es eine Wissenschaft, und für diejenigen, denen es reicht, einmal im Jahr explodierende Weingummis zu bestaunen, ja, für all diejenigen gibt es die lange Nacht der Chemie.