Freitag, 4. Februar 2011

Bitte lächeln Sie nicht

Trauriger Datenschutz

Das Studium an sich ist ein relativ großer Schritt; zur Eigenständigkeit, zur Wissenheit und – an manchen Tagen – auch zur Ratlosigkeit. Bereits nach wenigen Monaten sind wir sensibilisiert genug,  um dem Tatgegenstand unseres Studienfaches tagtäglich zu begegnen. Überall, wo wir hingehen, beobachten wir viel genauer; die unsichtbar gesponnenen Fäden der Alltagsanthropologie werden mit einem Male sichtbar, als hätten wir einen Indikator über unserer Welt ausgeschüttet und schon leuchtet alles Bemerkenswerte in einem grellen Pink oder Violett auf.

So zum Beispiel, als ich mich schließlich – als weiteren Schritt zur Unabhängigkeit – nach Marburg ummelden will. Dies tut man am besten im Stadtbüro, das auf den ersten Blick ein feiner Ort ist. Freundlich und hilfsbereit begegnet man uns am Empfang, wir erhalten Papier und Stift und ziehen schließlich ein Nümmerchen, das unsere Position in der Warteschleife markiert.

Es dauert nicht lange und schon leuchten die Nummern 339 und 340 auf. Und ab diesem Punkt ist mein Besuch von ernüchterndem Bürokratismus geprägt. Ich nehme gegenüber einer Dame Platz und erkläre ihr mein Anliegen; ich möchte mich ummelden. Und da geht es auch schon los:  
Ich sei zu spät. 
Aber ich wohne doch immer noch hier!?
Man schenkt mir einen Blick, als wäre ich schwer einzuschätzen, ein Kind mit unterdrückten Aggressionen. Ich schaue nach links; meine Begleitung, die sich am Nebentisch ummelden lässt, scheint in ein gemütliches Gespräch verwickelt. Ich höre sie lachen.
Ob ich vorhätte, länger zu studieren? 
Nun ja. Ja! Aber eben nicht länger als nötig, - wer kann eine derartige Aussage schon im ersten Semester treffen? Ich bin verwirrt. Die Dame mir gegenüber runzelt die Stirn und schreibt flink etwas auf Papier, so, als wären wir nicht im Stadtbüro, sondern in einem Assestment Center. 
Ich selbst druckse ein bisschen herum, die Dame schiebt mir Formulare zu, die ich ausfülle. Schließlich erhalte ich Gutscheine fürs Kino und fürs Schwimmbad, auf denen groß: In Marburg @ home steht. Es ist offiziell, aber wenig herzlich. 
Ich bin also umgemeldet; wohne nun ganz wirklich in Marburg. Mein Anliegen im Stadtbüro geht jedoch in die zweite Runde, denn ich brauche einen neuen Personalausweis, so einen mit Chip. 
Die Dame nickt, während sie ganz geschäftig Papiere ordnet und auf ihrem Computer hin- und herklickt.  

Um meinen Personalausweis zu erneuern, benötige ich Passfotos. Ob ich die hätte? Ja, aber natürlich, schließlich habe ich mich doch auf diesen Besuch vorbereitet. Ich krame in meiner Tasche und serviere eine Viererreihe von Bildern, die mich in recht gleichgültiger Stimmung zeigen.
Die Dame mustert meine Fotos.
„Ihr Kopf ist zu klein“, sagt sie.
Ich reagiere mit ungespielter Ungläubigkeit. „Mein Kopf ist zu klein?“ Immerhin; für einen Geisteswissenschaftler ist eine derartige Aussage beinahe eine Beleidigung. 
Da, - schon wieder dieser Blick. Sie ordnet meine Unterlagen, schiebt sie zur Seite und sieht mich an wie eine Kioskverkäuferin, die einem Erstklässler erklärt, dass man sich mit 3 Cent in der Tasche keine Colakracher kaufen kann. Ätsch.
„Unten haben wir einen Passbildautomaten; da können Sie neue Bilder machen.“ Der Fall ist erledigt. Ich habe keine andere Wahl. Im Stadtbüro entscheiden höhere Instanzen.

Verwirrt erhebe ich mich, während schon die nächste rote Nummer aufblinkt und ein anderer Mensch an ihren Tisch schreitet. Ein bisschen wütend über die Dame, ein bisschen wütend über meinen kleinen Kopf gehe ich unschlüssig zu besagtem Automaten. Dort werde ich noch wütender. 6 Euro kostet der ganze Spaß. Dafür muss ich meine Brille absetzen, und lustig wird es auch nicht. „Bitte lächeln Sie nicht“, sagt die Automatenstimme und ich frage mich, ob dies ein Befehl ist, der im ganzen Stadtbüro gilt. Eine Antwort auf diese Frage werde ich nicht bekommen; und blicke mit Maulwurfaugen in die Kamera.
Meine deutsche Identität ist teuer, blind und bitter.

Schließlich kehre ich zurück zu der Dame. Es ist halb sechs, in einer halben Stunde schließt das Stadtbüro, aber es sind noch viel mehr Menschen hier als vor fünf Minuten. Ich ziehe wieder eine Karte und beobachte mein Umfeld. Die meisten Menschen sehen müde aus, viele haben ihren Kopf auf ihren Schultern abgelegt, so als würde er tatsächlich zu klein und zu schwer sein, als dass man ihn obenauf trägt. Einige schlafen. 
Um 17:40 Uhr komme ich endlich an die Reihe und es scheint, als hätten sich in meiner Abwesenheit die Wogen geglättet; die Dame lächelt mir zu. 

In einer beachtlichen Geschwindigkeit wird der Antrag um meine Person abgewickelt; ich zeige die Fotos, die der Automat von mir gemacht hat, und die Dame nickt. Mein Kopf ist also groß genug, - es ist alles eine Frage der Darstellung. 
Ob ich meine Fingerabdrücke abgeben will? Ich zögere. Ob es mich auch etwas kostet? Die Dame schüttelt den Kopf. Fingerabdrücke doch nicht. Ich weigere mich trotzdem, man weiß ja nie.

Bevor ich mich erhebe und die Welt des Lächelns betrete, werde ich noch über die Möglichkeiten des Online-Personalausweises aufgeklärt; denn schon bald kann ich meinen Personalausweis dazu nutzen, virtuelle Orte aufzusuchen, und mich frei im Web bewegen.
Ich stutze. Seit wann muss ich mich im Internet ausweisen? Ich fühle mich wie der Hauptmann von Köpenick, aber eine Uniform hilft mir im Stadtbüro auch nicht weiter. 
Ich resigniere. 
Die Dame nickt mir zu. 
Ich kann gehen. 

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