Freitag, 21. Januar 2011

Nachts. Auf den Lahn-Bergen

- Chemie ist, wenn es knallt und pufft

Würde man Studiengänge wie Spielfilme in einer TV-Programmzeitung auflisten und sie in den Kategorien Humor, Romantik oder Thriller beurteilen, würde der Studiengang der Vergleichenden Kultur- und Religionswissenschaft sicherlich nicht schlecht abschneiden; dass es bei uns lustig ist, ist keine Frage, romantisch ist der Gedanke an Feldforschung und einem Thriller gleich mag die Jobsuche nach einem abgeschlossenen Ethnologiestudium sein. Doch es gibt einen Bereich, den das Fach Chemie – zumindest am gestrigen Abend – besser abdeckt: Action.

So sieht es aus, wenn Chemiker nicht schlafen gehen
Von meinen Mitbewohnern überredet und mit Pizza bestochen, sause ich um kurz nach Acht auf die Lahnberge, um ein wenig Action zu erleben. Die lange Nacht der Chemie findet statt und im Jahr der Chemie kann man sich derartigen Veranstaltungen wohl kaum entziehen.
Es ist das erste Mal, dass ich auf den Lahnbergen bin; es ist dunkel und kalt und Philipps Schloss, das mir wie ein Kompass zur Orientierung dient, ist weg bzw. nicht sichtbar. Eine gute Mensa soll es auf den Lahnbergen geben, aber damit kann man mich gerade nicht locken. Bin ich noch in Marburg?

Auf dem Parkplatz angekommen, sieht es nicht so aus, als ob dieser Ort Leben vorsieht; es ist leer und verirrte Neonlampen leuchten uns den Weg zu grauen Gebäudekomplexen. Einen Preis hat die Chemie angeblich bereits erhalten, für ihre klare, strikte und brutale architektonische Besonderheit. Ich bin skeptisch.  
In einer verqueren Odyssee hasten wir durch das Treppenhaus, nehmen drei Schritte auf einmal und mir bleibt kaum Zeit, den Ort, an dem wir uns nun befinden, genauer zu untersuchen. Schließlich folgen wir nicht mehr den Schildern, sondern dem Lautstärkepegel; der Hörsaal A kocht. 

Etwa zweihundert Studenten sitzen hier, dicht getränkt, mit Pizza und Bier und beobachten drei weißgekleidete Chemiker, die lauter Explosionen bewirken; es knallt und pufft, die Chemiker lachen und es herrscht eine ganz berauschende Atmosphäre.
Kawumm: Eine zaghafte Wolke  ist alles, was bleibt
Wir haben Glück und ergattern einen Sitzplatz in der letzten Reihe. Schon jetzt vermerke ich eine absolute Reizüberflutung; so viele Eindrücke, die es zu verarbeiten gilt, so viele Dinge, die ich vorher noch nie gesehen habe. Doch es kommt noch besser: während wir langsam wieder zu Atem kommen, erklären die drei Praktizierenden ihr nächstes Vorhaben: im Rahmen des Themas Hören, Riechen, Sehen wollen sie mittels der Chemie verschiedene Sinne ansprechen.  „Wir werden jetzt versuchen, den Duft eines frisch gebratenen Steaks herzustellen“, erklärt einer von ihnen und die studentischen Reihen jauchzen. Es dauert ein wenig, bis der Duft dank eines Ventilators bei uns angekommen ist; zu unserer Enttäuschung riecht es eher nach zu vielen verbrannten Zwiebeln und Popcorn. Was Chemie nicht alles kann.
Im Laufe ihrer Vorführungen zünden die Drei ein Gummibärchen an und lassen Flüssigkeiten leuchten; ein Feuerball explodiert und Wunderkurzen fangen an, lustige Geräusche von sich zu geben. Ich bin mir nicht sicher, auf welche Weise man diesen Abend am besten verbringt: als Chemiker, der die Vorgänge versteht, oder als unwissender Kulturwissenschaftler, der den Geschehnissen mit der gleichen Faszination gegenüber steht wie ein Neandertaler einem Sonnenuntergang. 

Nach etwa einer Stunde kommt das offene Versuchslabor seinem Ende entgegen; jetzt folgen Vorträge. Ich bin gespannt, - und werde nicht enttäuscht. Klaus Roth von der FU Berlin erklärt in einem fast eineinhalbstündigen Vortrag die Geschichte des Mutterkorns und seine Bedeutung für die Menschheit. Um den Bogen vom Mittelalter zu den Beatles und deren Song Lucy in the sky with diamonds bis hin zu LSD zu spannen, wagt er sich sogar in die Kunstgeschichte vor und erzählt vom Isenheimer Altar in Colmar. Vielleicht sind Chemiker und Kulturwissenschaftler doch nicht so unterschiedlich. 
Um Mitternacht verabschieden auch wir uns von der Chemie, dabei ist das Programm noch längst nicht zu Ende. Abschließend, so sagt man mir, wird wieder experimentiert. Doch mir reicht dieser erste Ausflug in die Chemie; ich bin positiv überrascht und für einen Moment fast traurig, dass ich mir Ionen, Doppelhelixbindungen oder Atome so schlecht vorstellen kann. Aber für jeden gibt es eine Wissenschaft, und für diejenigen, denen es reicht, einmal im Jahr explodierende Weingummis zu bestaunen, ja, für all diejenigen gibt es die lange Nacht der Chemie.

2 Kommentare:

  1. Wegen solchen Studenten, die solche sinnlosen Studiengänge wie Vergleichende Religionswissenschaften studieren, sind die Mieten hier in Marburg auf dem Niveau von München und sogar höher als das Mietniveau in Wien. Vielen Dank auch!

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  2. @Rudolfo Maria,

    1. Deinen genannten Studiengang gibt es nicht!
    2. Woran erkennt man Sinn und Unsinn eines Studienganges?
    3.Wer bist du, dass du entscheiden kannst ob dieser oder ein anderer Studiengang sinnlos ist?
    4. Wie viele Studenten hat denn dieser oder andere "sinnlose" Studiengänge?
    5. Wie hängt der Studiengang mit dem Mietniveau einer Stadt zusammen?
    6. Wie sieht es z.b. mit BWL aus? Es gibt wesentlich mehr Studenten die BWL studieren, als jemals gebraucht werden. Auch überflüssig?
    7. Ich glaube kaum, dass der Mietraum in MR teurer ist als in München oder Wien. Dazu gern mal hier nachlesen/schauen: http://www.spiegel.de/wirtschaft/service/0,1518,741754,00.html
    8. Was würde passieren wenn in MR keine Studenten mehr wären? Dann wäre MR ein verschlafenes Kuhkaff ohne Ausstrahlungs- und Kaufkraft!
    9. Dieser Studiengang wird nicht abgeschafft, nur weil DU rumheulst wie son kleines Kind. Wenns dich stört, dann zieh doch weg aus MR! (Am besten nach Ostdeutschland da ist der Wohnraum am günstigsten!)
    10. Wenn man nur Stress schieben will, weil wieder mal die Darmwinde quer sitzen und der Verdauungstrakt nicht ordentlich seine Arbeit verrichtet, dann bitte einfach mal die Fresse halten und nicht anderen auf die Nüsse gehen, sondern mal die eigenen Nierensteine in der Blase sortieren! Wir stoßen uns ja auch nicht an deinem Studiengang/Arbeitsplatz/Hartz4-Leben...oder sollten wir etwa?

    Grüße und weiterhin ein schönes sinnfreies Leben!

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