Donnerstag, 13. Januar 2011

[Sirigang]

Über den Spaß am Fremden

Die Feldforschung stellt einen nicht zu unterschätzenden Bestandteil im Wirken des Ethnologen dar; natürlich mag es auf den ersten Blick mühsam erscheinen, bei hoher Luftfeuchtigkeit und treibendem Schweiße Steine umzudrehen oder Menschen zu beobachten, die sich vollkommen nackt und selbstverständlich in ihrem natürlichen Lebensraum bewegen, während man selbst, gehüllt in einen eher umständlichen als bequemen Tropenanzug, das soziokulturelle Verhalten eines Volkes erforscht.
Doch das Fremde soll verstanden werden. Und der Ethnologe machte sich dies zur obersten Aufgabe. Claude Lévi-Strauss war in den Tropen, Malinowski gefiel es auf den Trobriandinseln, Alexander von Humboldt – den wir vielleicht nicht als Ethnologen betrachten würden, der jedoch essentiell zur Feldforschung beitrug – weckte mit seinen Beobachtungen und Aufzeichnungen zu Forschungsreisen in die USA, Lateinamerika und Asien als „zweiter Kolumbus“ das Interesse der Wissenschaft am Fremden.

Ein weites Feld: Lévi-Strauss in Brasilien
Wir alle haben schon einmal Feldforschung betrieben; doch wir nennen es Urlaub. In fremden Ländern, - ob europäisches Ausland oder tatsächlich "weiter weg" - werden wir zum Beobachter; es fängt möglicherweise mit einer fremden Sprache (also einer offensichtlichen Unterscheidung)  anund endet im totalen Chaos, sobald Menschen mit den Köpfen nicken und "nein" meinen. Wir deuten, überlegen, verstehen nicht, deuten erneut und beginnen über die Unterschiede nachzudenken oder uns zu ärgern. 
In Frankreich isst man gerne Froschschenkel, hierzulande nicht. In Italien liebt man laute Orte, in Deutschland beklagt man sich gern darüber. In Nicaragua zählt eine Familie 10 Kinder. In Deutschland 1,43. Ich wurde oft gefragt, ob wir in einem sehr kleinen Land leben oder ob die Deutschen sich nicht lieb haben. 
Es ist diese Andersartigkeit, von der unsere Welt lebt. Es gilt, beides zu entdecken. 

Nun könnte man meinen, in einer Welt der digitalen Möglichkeiten sei so etwas wie Feldforschung schon längst überholt, viele Kulturen seien bereits längst entdeckt, und die Ethnologie als Wissenschaft sei allemal ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Ist in dieser Disziplin nicht bereits alles gesagt?
Nein. Ganz eindeutig: nein! Denn die Ethnologie lebt von der Ethnographie, der Beschreibung also, den Aufzeichnungen und Entdeckungen der Ethnologen. Und je dichter die Ethnographie – je mehr Aufzeichnungen ergo vorliegen -, desto dichter ist die Ethnologie. Eine Kultur lässt sich nicht anhand eines Satzes oder zweier Aufsätze beschreiben; sie verlangt mehr von uns. Sie verlangt viele Ethnologen, die Unterschiedliches oder auch Gleiches beobachten und niederschreiben. Denn eine vollkommene Ethnologie gibt es nicht; wir sprechen hier nämlich von einem Wesen, das es wahrscheinlich als wenig schmeichelhaft empfindet, wenn man behauptete, man hätte es entdeckt, erforscht, verstanden - und könne dies alles in einem einzigen Bericht fest halten. Der Mensch ist gern komplex.  
Eine schöne Wissenschaft ist sie also, die Ethnologie, denn demnach ist (zumindest theoretisch) Platz für alle da.

Argonaut des westlichen Pazifiks: Malinowski
Doch wozu die Überlegungen?
Dass Feldforschung Spaß macht, dass wir als Ethnologen, aber auch als Menschen, an der Andersartigkeit der Welt Freude und Gefallen finden können, wurde am vergangenen Dienstag in schönstem Maße demonstriert: Die Ringvorlesung „Religion und Humor“ erreichte unter Leitung von Mark Münzel ungeahnte Dimensionen, - man könnte auch von einem heimlichen Höhepunkt sprechen; der ehemaliger Marburger Professor für Völkerkunde berichtete einem völlig gebannten Hörsaal voller Studenten von Mythen und Sagen und deren alltäglicher Erscheinung im Leben der Indianer im brasilianischen Regenwald. Er sang, hüpfte und kommentierte - und der Spaß an dieser lebendigen Beschreibung des Fremden war sowohl anwesenden Dozenten wie auch der Studentenschaft deutlich ins Gesicht geschrieben. 

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