Donnerstag, 30. Dezember 2010

Ein Baum. Warum?


Im Anschluss an den vorangegangenen Artikel fragte ich mich, warum es eigentlich ein Baum sein muss? Warum stellt man zu Weihnachten Tannenbäume in deutsche Wohnzimmer? 
Etwa 620 Millionen Euro werden pro Jahr in Deutschland für Weihnachtsbäume ausgegeben; aber warum kaufen wir Nadelbäume und keine deutschen Eichen? Warum keine Fettgewächse, warum schmücken wir keine Felsen (zugegeben, etwas abwegig)? In Bethlehem stand nirgendwo ein Nadelbaum; und doch - die Nordmanntanne ist aus dem deutschen Weihnachtsbrauch nicht mehr wegzudenken. 

Als Religionswissenschaftlerin muss man sich im Gespräch mit anderen auf gewitzte Fragen vorbereiten; und da Religion gerade im späten Dezember täglich in Erscheinung tritt, möchte ich nun diese Tradition wenn auch im Verzug, ein wenig beleuchten.

Der Brauch, den Wald ins Haus zu holen, erscheint etwa ab dem 19. Jahrhundert in Deutschland. Bereits zuvor war es in verschiedenen Kulturen üblich, sich zur Jahreswende mit etwas "Grünzeug" zu schmücken, das symbolisch für Leben stand; so war es zum Beispiel im alten Rom, dessen Vorliebe für Lorbeerblätter auch hier zum Vorschein kam. 
Karibik: Eine bescheidene Weihnachtspalme
Im Mittelalter gefiel es gerade in deutschen Landen, Maibäume und Richtbäume aufzustellen; der erste geschmückte Christbaum soll demnach in Freiburg von einem Bäcker den Kindern zu Liebe mit Plätzchen und Gebäck behangen worden sein.
Ab diesem Zeitpunkt kann man von einem einkehrenden Brauch in gutbürgerlichen deutschen Wohnzimmern sprechen, der sich allmählich in ganz Europa verbreitete und schließlich auf der ganzen Welt viel Anklang fand. 

Ich persönlich jedoch empfand es als ein Stück der berühmt berüchtigten "verkehrten Welt", als vor einem Jahr in Nicaragua ganz selbstverständlich weise Plastiktannenbäume aufgestellt wurden; als ich erzählte, dass es in Deutschland tatsächliche Bäume sind, die dort im Wohnzimmer stehen und nadeln dürfen, erklärte man uns für ein Alemania loca, ein verrücktes Deutschland. Aber vielleicht ist auch das nur ein sehr frühes Beispiel der Globalisierung.

Anthropologie, - überall!

Die Vorweihnachtszeit ist die Zeit, in der kaum Zeit zum Atmen bleibt; tausend Dinge müssen erledigt, Geschenke müssen gekauft, verpackt und verschenkt werden; die einzigen Ruhepole dieser Zeit mögen die zahlreichen Weihnachtsfeiern sein, die in ihrer Kumulation jedoch irgendwann nicht mehr besänftigen; letztlich beginnt die Woche kurz vor Weihnachten und man möge denken, der Trubel lege sich; doch vielleicht fährt man mit der Bahn - dann fällt ein nicht zu unterschätzender (und kaum einzuschätzender) Risikofaktor ins Gewicht; eine ewig unbekannte Variable.

Zum ersten Mal in meinem Leben muss ich zu Weihnachten eine längere – und aufregende – Reise antreten, um nach Hause zu gelangen. Der Mensch ist bereits seit vierzig Jahren im All unterwegs, aber wenn es dann mal so richtig schneit, weiß er auch nicht weiter. Ein ganzes Jahr war Zeit, um Salz zu kaufen, hört man den ein oder anderen nörgeln. Ist man zu Hause angekommen, interessiert es eh nicht mehr; und mein persönlicher Zorn zeigt sich in strafender Ignoranz dem Schienenwesen gegenüber. 

Der Weihnachtsabend an sich zeigt sich bescheiden. Ein Baum wird aufgestellt und Frieden kehrt ein. Doch die Ethnologie, die Anthropologie und auch die Religionswissenschaft machen vor diesem Datum nicht Halt. Ich bin im ersten Semester und hoffe daher, behaupten zu können, dass ich noch nicht das sein kann, was man gerne als Fachidioten bezeichnet. Und doch wird der diesjährige Kirchgang mehr zu einer Gesellschaftsstudie ganz im Sinne meines Studienganges; ich beobachte viel mehr, als dass ich mich in Weihnachtsstimmung verzaubern lasse; und während ich mich mit einer Gemeinde gläubiger Protestanten auf hölzernen Kirchenbänken quetsche und den heiligen Worten eines Pfarrers lausche, analysiere ich und mein vergleichende-Kultur- und-Religionswissenschaften-geprägtes Hirn arbeitet fleißig; die Hermeneutik hört vor der Kirchentür nicht auf, ich gucke und blicke und erkenne Züge meines Studiums in jedem kleinsten Detail. Ob es den Mathematikern, den Physikern und Chemikern genau so geht? Läuft ihr Denkapparat auch gerade auf Hochtouren, hier, in dieser Kirche im Ruhrgebiet? 
Und was macht ein Mensch, der noch nie von Anthropologie gehört hat? Wie sieht sein Leben aus? Auf einmal wird mein Studium ganz existenziell, denn es bestimmt nicht nur mein zukünftiges Berufsleben, sondern auch meine Weltanschauung und Lebensbetrachtung. 
Das ist alles ein bisschen viel auf einmal. „Gehet hin in Frieden“, sagt der Pfarrer schließlich und entlässt  uns mit segnenden Worten. Ich hingegen muss an die verschiedenen Definitionen von Frieden denken, die man mich in der Friedens- und Konfliktforschung lehrte. Leicht benommen von so viel unerwartetem Studium verlasse ich das Gotteshaus. 

Während mir aber vor Weihnachten der Atem stockt, so habe ich – wenn wir bei diesem Bild bleiben - nach dem so genannten Fest der Liebe endlich die Zeit, so richtig ausgiebig zu atmen. Doch diese wenigen Tage nach Weihnachten sind es, die einem zu Verstehen geben, dass die Zeit auch von ganz allein vorbei geht. Ein wenig ratlos stehe ich da, die Taschen voller Zeit, aber sie zu nutzen habe ich verlernt. Bitter stelle ich am 28. Dezember fest, dass ich diese wertvollen Tage des ungezwungenen Daseins habe verstreichen lassen. 

Und dennoch gehe ich nicht leer aus; die ersten drei Monate meines Studiums haben mich schon jetzt auf viele Dinge aufmerksam gemacht, die ich zuvor als selbstverständlich oder unwichtig verstand; wer weiß, wie es mir nach einem weiteren oder gar fünf anthropologischen Jahren ergeht? Ich bin gespannt; und kann deshalb auch vollkommen zufrieden in ein neues Jahr aufbrechen.

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Das Schloss ist weg!

Ein Hauch von Schloss am Erlenring
Käme jemand in diesen Tagen zum ersten Mal nach Marburg, so würde er um das Wahrzeichen der Stadt (nein, nicht die Mensa) betrogen werden; denn das Landgrafenschloss Philipps befindet sich momentan in noch luftigeren Höhen, als es das normalerweise tut.
Dieses geradezu kosmische Ereignis war mir einen Eintrag wert.

Dienstag, 21. Dezember 2010

Quo vadis?


Wenn ich meinen Studiengang nenne, scheitern die meisten bereits an seinem Namen. Doch fernab der Frage, was es eigentlich ist, diese Mischung aus Ethnologie, Anthropologie und Religionswissenschaft, bleibt eine weitere, eine möglicherweise viel essentiellere: was tun damit? 

Was macht man als Ethnologe? Wo kann ich mein Wissen anwenden (außer im Alltag)? Besteht meine Zukunft etwa aus ewiger Feldforschung? Oder bin ich gar gezwungen, mich beruflich von dem, was ich nun erlerne, zu distanzieren?
Dass einige Kommilitonen eigentlich zur Lufthansa wollten und nur ein wenig Zeit verstreichen lassen, mag noch mehr den Eindruck verstärken, dass Ethnologie ein Alibistudiengang ist. 
Doch so ist es nicht.

Zwar wissen wir bereits seit der Orientierungswoche, dass die Jobaussichten unseres Studienganges eher gering sind; denn schon dort trafen wir auf Religionswissenschaftler, Anthropologen und Ethnologen, die freundlich nickten und ungläubig den Kopf schüttelten – und jetzt in Ledergeschäften Taschen verkaufen oder als Pizzadienst durch die Gegend fahren.
Aber, so platt es klingt, das kann auch Juristen geschehen. Während eines Praktikums beim WDR erklärte man mir, dass es mehr arbeitslose Anwälte gäbe als Germanisten oder Anthropologen. Es  klingt böse, gerade an dieser Stelle mit derartigen Geschützen zu feuern, doch ist die Frage nach dem wohin relativ existenziell. 

Was also tun mit Ethnologie? 

Gerade, um diese Frage ansatzweise zu klären, - und viel mehr, um uns, die Erstis, zu beruhigen -, fand in der vergangenen Woche ein Orientierungsabend zum Thema Berufswahl statt. Die Quintessenz des Abends ist relativ leicht gesagt, doch das Gefühl, dass uns dabei vermittelt wurde, ist von höherer Bedeutung; so wurden wir nämlich darin bestärkt, unseren Vorstellungen und "Träumen" zu folgen, diese nie aus den Augen zu lassen.
Eine derartige Antwort mag recht romantisch klingen, und doch ist sie gerade für uns Ethnologen, die wir auf einem schmalen Grad wandern, nicht zu verkennen. In der Ethnologie ist noch längst nicht alles gesagt; und in einer Wissenschaft, die den Menschen sich zum Zentrum machte, wird es nie an Experten mangeln. 
Ethnologen und Anthropologen sind weltweit gefragt - sei es in Unternehmen, in Museen oder konkret in Forschungsprojekten; mit meinem Master kann ich versuchen, mich im Journalismus zu verankern, genau so kann ich an der Universität arbeiten und später vielleicht sogar lehren -, man muss einzig sein Schlupfloch finden. 
Sicherlich bringt das einiges an Schwierigkeit mit sich, denn es ist stets leichter gesagt als getan; und doch: letztlich ist die Frage nicht, ob man eine Arbeit findet, sondern was man tut. Und mit der Ethnologie ist vieles möglich.

Donnerstag, 9. Dezember 2010

Adventus - die Ankunft

Es ist ein absoluter Trugschluss, dass die Weihnachtszeit etwas mit Besinnung zu tun hat; und es ist absolut menschlich, dass man stets, Jahr für Jahr, dazu bereit ist, zumindest für einen kurzen Moment der Gutgläubigkeit, sich auf diesen Trugschluss einzulassen. 

Das böse Erwachen ereilte mich Montagmorgen. Schon da vermisste ich diesen trägen Zustand, den die Reading Week mir in dem emotionalen Rausch des Erstidaseins – neue Stadt, neue Leute, neue Wohnung, neues Leben – ermöglichte. 

... vergeht auch die Zeit im ersten Semester.
So selbstverständlich es doch sein mag, über den Weihnachtsmarkt an der Elisabethkirche zu schlendern, und all die verschiedenen Gerüche von Waffeln und Bratwurst in sich aufzunehmen, so wenig Zeit bleibt doch dafür. Die Weihnachtszeit ist zu knapp bemessen, und so gehen die ersten zwei Monate meines Studentendaseins recht schnell vorbei.  

Doch ich möchte nicht allzu lange lamentieren; denn mein Studium ist klasse. Ich merke es jeden Tag und das tut gut, vor allem, wenn man fast zwölf Stunden durch die Uni düst, Referate hört und auch selbst hält, Vorlesungen besucht, und sich den Mensa…versuchungen hingibt. 
Dass ich Teil des Geschehens bin, das jeden Tag von der Mensa zur PhilFak, von der BIB zum Hörsaalgebäude rast, ist schon beinahe so normal, dass ich geradezu vergesse, dass ich erst seit Oktober hier bin. 
Und das stimmt mich zufrieden. 
Denn trotz meiner Skepsis gegenüber der vorweihnachtlichen Hektik, mit all ihren Begleiterscheinungen, ist es mir doch scheinbar unbewusst geglückt, das zu erreichen, was eigentlich in diesen wenigen Wochen vor Weihnachten auf dem Plan steht: ich wage es, zu behaupten, ein Stück weit angekommen zu sein, mitten im Advent, mitten in Hessen, hier in Marburg, zu dem der weiße Puderschnee doch ach so gut passt. 
Zwar bringt das tägliche Vor-die-Tür-treten ein gewisses Risiko mit sich, und trotzdem kann ich glücklich verkünden, dass ich noch nicht ausgerutscht bin - was freilich nach diesem Beitrag der Fall sein wird.  
Doch bei so viel Zufriedenheit wäre mir selbst das vollkommen egal.