Donnerstag, 17. Februar 2011

Alles hat ein Ende ...

Wir haben Mitte Februar und ein Semester geht vorbei; es ist das erste Semester, das ich in meinem Leben als Studentin absolvierte, mein erstes Semester an der Philipps-Universität Marburg.
Dass die Ferien nicht mehr weit von uns entfernt sind, ist beinahe überall bemerkbar: die Hörsäle leeren sich, in der Mensa findet man sofort einen Platz, nur vereinzelt strömen Studenten in die Biegenstraße oder von der Phil-Fak zur Mensa. Und während sich alles langsam auf die Ferien vorbereitet oder schon zu Hause sitzt und den angeblich fehlenden Schlaf von vier Monaten nachholt, nutze ich die Zeit, um dieses erste Semester ein wenig Revue passieren zu lassen.

Mensaimpressionen
Wenn ich an den Beginn meines Studiums im Oktober denke, fällt mir sofort die Orientierungswoche ein, genau so Klopapierwettrennen, Gordische Knoten am Marktplatz und das Weidenhäuser Entenrennen, bei dem unsere Marge noch immer als heimliche Siegerin auf ihre Ehrung wartet. 
Mittlerweile weiß ich, was man in der Mensa essen kann, und was man sich lieber nicht aufs Tablett laden sollte; ich weiß, wie lang ein Weg zur BIB im Schnee und auf vereisten Wegen sein kann und wie ich wissenschaftlich korrekt zitiere. 

Man mag denken, dass sich bestimmte Dinge verändern, dass sich eine gewisse Routine in den Unialltag einschleicht und dass man recht leicht vom nervösen Erstsemester zum lässigen Zweitsemester wird. Doch ein bisschen betrübt stelle ich fest, dass sich zumindest die Erstellung eines Stundenplans auch mit dem Wissen eines gesamten Erstsemesters als noch immer schwierig erstellt.

Marburg im Oktober: Marge im Dreck 
Abgesehen von dieser Kleinigkeit, kann ich jedoch behaupten, dass mein Studium der Vergleichenden Kultur- und Religionswissenschaft keine weiteren Tücken bereit hielt; ganz entspannt und Erstigerecht verlief das erste Semester, und mit jedem weiteren Seminar, das ich besucht habe, haben sich mir neue Horizonte erschlossen.  
Das klingt beinahe wie der verliebte Eintrag im Tagebuch einer Elfjährigen, und doch kann ich es einfach so behaupten. Mein Studium beinhaltet tatsächlich wenig Hindernisse, dafür umso mehr Überraschungen, - im Prinzip so, wie man es sich wünscht. 

Recht euphemistisch und wohl gestimmt, verlasse ich also meinen Posten des Erstsemesters. Doch bevor dies geschieht, bevor ich mich in die Ferien begebe und zum Zweitsemester werde, steht noch eine Exkursion nach Spanien an ...  

Donnerstag, 10. Februar 2011

Ein Foto-Guck-Erzähl-Abend


Was den Medizinern das PJ ist, ist den Ethnologen das „Feld“. In einem Studiengang, der auf Geschichte aufbaut, eine praktische Ebene zu fassen, scheint manchen – gerade in Verbindung mit dem Wort Ethnologie oder Völkerkunde – befremdlich. Doch das „Feld“ verknüpft Theorie und Praxis, Vorstellung und Wirklichkeit, und die sollte man nie voneinander zu trennen versuchen.

Einen Artikel über das Wesen der Feldforschung habe ich bereits vor einigen Wochen verfasst. Warum also schon wieder dieser Begriff, diese fabelhafte Erzählung von diesem „Feld“?

Was die Ethnologie kann, was die Anthropologie vermag, und wohin sie uns führen können, bewies die gestrige Veranstaltung in der Europäischen Ethnologie: ein Foto-Guck-Erzähl-Abend wurde gehalten, bei dem zwei Ethnologen / Kultur- und Sozialanthropologen bzw. Religionswissenschaftler vom Einsatz in ihrem persönlichen „Feld“ berichteten: Stéphan Voell zeigte Bilder aus Georgien, berichtete von den dort ansässigen Swanen und seiner Forschung zum Thema „Traditionelles Recht“. Im zweiten Teil des Abends erzählte Leyla Jagiella von ihren Reisen nach Indien, ihren Aufenthalten in Delhi und dem Wohnen in einem Hijra-Haus. 

Dass diese Art des wissenschaftlichen Vortrages eine gewisse familiäre Atmosphäre beinhaltete, zeigt nicht nur der Name; etwa drei Stunden lang, bei Kuchen und Apfelsaft, wurde viel erzählt, gefragt, gelacht und gestaunt. Denn ein längerer Aufenthalt in Ländern wie Georgien oder Indien lebt ganz besonders von der Begegnung mit der fremden Kultur, von Geschichten und Begebenheiten, die mal lustig, mal traurig, mal anstrengend, aber immer spannend sind. 

In einem Studium, in dem vieles ungewiss erscheint, war dieser Abend auch für Erstsemester eine willkommene Veranstaltung, da etwaige Antworten auf die Frage "Wo gehst du hin?" oder "Weshalb Ethnologie?" geliefert wurden. 
Ich denke, für viele sprechen zu können, wenn ich behaupte, dass ein derartiger Foto-Guck-Erzähl-Abend durchaus und gerne eine gewisse Regelmäßigkeit erhalten darf.

Freitag, 4. Februar 2011

Bitte lächeln Sie nicht

Trauriger Datenschutz

Das Studium an sich ist ein relativ großer Schritt; zur Eigenständigkeit, zur Wissenheit und – an manchen Tagen – auch zur Ratlosigkeit. Bereits nach wenigen Monaten sind wir sensibilisiert genug,  um dem Tatgegenstand unseres Studienfaches tagtäglich zu begegnen. Überall, wo wir hingehen, beobachten wir viel genauer; die unsichtbar gesponnenen Fäden der Alltagsanthropologie werden mit einem Male sichtbar, als hätten wir einen Indikator über unserer Welt ausgeschüttet und schon leuchtet alles Bemerkenswerte in einem grellen Pink oder Violett auf.

So zum Beispiel, als ich mich schließlich – als weiteren Schritt zur Unabhängigkeit – nach Marburg ummelden will. Dies tut man am besten im Stadtbüro, das auf den ersten Blick ein feiner Ort ist. Freundlich und hilfsbereit begegnet man uns am Empfang, wir erhalten Papier und Stift und ziehen schließlich ein Nümmerchen, das unsere Position in der Warteschleife markiert.

Es dauert nicht lange und schon leuchten die Nummern 339 und 340 auf. Und ab diesem Punkt ist mein Besuch von ernüchterndem Bürokratismus geprägt. Ich nehme gegenüber einer Dame Platz und erkläre ihr mein Anliegen; ich möchte mich ummelden. Und da geht es auch schon los:  
Ich sei zu spät. 
Aber ich wohne doch immer noch hier!?
Man schenkt mir einen Blick, als wäre ich schwer einzuschätzen, ein Kind mit unterdrückten Aggressionen. Ich schaue nach links; meine Begleitung, die sich am Nebentisch ummelden lässt, scheint in ein gemütliches Gespräch verwickelt. Ich höre sie lachen.
Ob ich vorhätte, länger zu studieren? 
Nun ja. Ja! Aber eben nicht länger als nötig, - wer kann eine derartige Aussage schon im ersten Semester treffen? Ich bin verwirrt. Die Dame mir gegenüber runzelt die Stirn und schreibt flink etwas auf Papier, so, als wären wir nicht im Stadtbüro, sondern in einem Assestment Center. 
Ich selbst druckse ein bisschen herum, die Dame schiebt mir Formulare zu, die ich ausfülle. Schließlich erhalte ich Gutscheine fürs Kino und fürs Schwimmbad, auf denen groß: In Marburg @ home steht. Es ist offiziell, aber wenig herzlich. 
Ich bin also umgemeldet; wohne nun ganz wirklich in Marburg. Mein Anliegen im Stadtbüro geht jedoch in die zweite Runde, denn ich brauche einen neuen Personalausweis, so einen mit Chip. 
Die Dame nickt, während sie ganz geschäftig Papiere ordnet und auf ihrem Computer hin- und herklickt.  

Um meinen Personalausweis zu erneuern, benötige ich Passfotos. Ob ich die hätte? Ja, aber natürlich, schließlich habe ich mich doch auf diesen Besuch vorbereitet. Ich krame in meiner Tasche und serviere eine Viererreihe von Bildern, die mich in recht gleichgültiger Stimmung zeigen.
Die Dame mustert meine Fotos.
„Ihr Kopf ist zu klein“, sagt sie.
Ich reagiere mit ungespielter Ungläubigkeit. „Mein Kopf ist zu klein?“ Immerhin; für einen Geisteswissenschaftler ist eine derartige Aussage beinahe eine Beleidigung. 
Da, - schon wieder dieser Blick. Sie ordnet meine Unterlagen, schiebt sie zur Seite und sieht mich an wie eine Kioskverkäuferin, die einem Erstklässler erklärt, dass man sich mit 3 Cent in der Tasche keine Colakracher kaufen kann. Ätsch.
„Unten haben wir einen Passbildautomaten; da können Sie neue Bilder machen.“ Der Fall ist erledigt. Ich habe keine andere Wahl. Im Stadtbüro entscheiden höhere Instanzen.

Verwirrt erhebe ich mich, während schon die nächste rote Nummer aufblinkt und ein anderer Mensch an ihren Tisch schreitet. Ein bisschen wütend über die Dame, ein bisschen wütend über meinen kleinen Kopf gehe ich unschlüssig zu besagtem Automaten. Dort werde ich noch wütender. 6 Euro kostet der ganze Spaß. Dafür muss ich meine Brille absetzen, und lustig wird es auch nicht. „Bitte lächeln Sie nicht“, sagt die Automatenstimme und ich frage mich, ob dies ein Befehl ist, der im ganzen Stadtbüro gilt. Eine Antwort auf diese Frage werde ich nicht bekommen; und blicke mit Maulwurfaugen in die Kamera.
Meine deutsche Identität ist teuer, blind und bitter.

Schließlich kehre ich zurück zu der Dame. Es ist halb sechs, in einer halben Stunde schließt das Stadtbüro, aber es sind noch viel mehr Menschen hier als vor fünf Minuten. Ich ziehe wieder eine Karte und beobachte mein Umfeld. Die meisten Menschen sehen müde aus, viele haben ihren Kopf auf ihren Schultern abgelegt, so als würde er tatsächlich zu klein und zu schwer sein, als dass man ihn obenauf trägt. Einige schlafen. 
Um 17:40 Uhr komme ich endlich an die Reihe und es scheint, als hätten sich in meiner Abwesenheit die Wogen geglättet; die Dame lächelt mir zu. 

In einer beachtlichen Geschwindigkeit wird der Antrag um meine Person abgewickelt; ich zeige die Fotos, die der Automat von mir gemacht hat, und die Dame nickt. Mein Kopf ist also groß genug, - es ist alles eine Frage der Darstellung. 
Ob ich meine Fingerabdrücke abgeben will? Ich zögere. Ob es mich auch etwas kostet? Die Dame schüttelt den Kopf. Fingerabdrücke doch nicht. Ich weigere mich trotzdem, man weiß ja nie.

Bevor ich mich erhebe und die Welt des Lächelns betrete, werde ich noch über die Möglichkeiten des Online-Personalausweises aufgeklärt; denn schon bald kann ich meinen Personalausweis dazu nutzen, virtuelle Orte aufzusuchen, und mich frei im Web bewegen.
Ich stutze. Seit wann muss ich mich im Internet ausweisen? Ich fühle mich wie der Hauptmann von Köpenick, aber eine Uniform hilft mir im Stadtbüro auch nicht weiter. 
Ich resigniere. 
Die Dame nickt mir zu. 
Ich kann gehen.