Donnerstag, 27. Januar 2011

Zweifel und Gewissheit

Höret und staunet: Abiturienten im Hörsaal 11
Das erste Semester ist beinahe vorbei; ab und an scheint sogar die Sonne in Marburg und vollkommen optimistisch spekulieren wir, wie wohl der Sommer in dieser zauberhaften Stadt sein wird. Den Prüfungsstress, mit dem sich andere Studiengänge herum schlagen, können wir beinahe nicht nachvollziehen, so überschaubar ist die Anzahl von Klausuren; Ende Februar geht es für einige Kommilitoninnen und mich nach Spanien, - es klingt nicht nur so, es ist auch so: ich studiere genau das Richtige. 

Dass das nicht alle so sehen, die mit mir das Studium im Oktober begonnen, wird in den Seminaren und Vorlesungen deutlich; es mag am Semesterende liegen, aber auch an der Tatsache, dass viele persönliche Vorstellungen auf beiden Seiten nicht erfüllt werden konnten. Fluktuation gibt es in jedem Studiengang, und doch finde ich mich in fast kindlichem Staunen wider, sobald ich höre, dass ein weiterer Kommilitone nicht mehr dabei ist. Genau so wächst jedoch auch die Überzeugung derjenigen, die noch mit im Boot sitzen, denn sie wissen, dass dieser Studiengang, diese Stadt und diese Möglichkeit etwas ganz Besonderes darstellen.  
Um diese frohe Botschaft hinaus zu tragen, fanden gestern und heute die Tage der offenen Universität statt; im Rahmen dieser Veranstaltung nutzte auch unser beschaulicher Studiengang die Möglichkeit, sich einer breiteren, wissbegierigen Menge von Abiturienten zu präsentieren. 

Starthilfe in der unbekannten Hochschulwelt: Hörsaalkritzelei
Fast zwei Stunden wurden benötigt, um dem Studiengang der Vergleichenden Kultur- und Religionswissenschaft gerecht zu werden, und auch für uns, die wir nun schon mitten in der Materie stecken, war es schön, mit anzusehen, welche Freiheiten wir in unserer Fächerwahl genießen, wohin uns unsere Wahlpflichtmodule oder Lehrforschungsprojekte noch bringen werden und welche Wege wir einschlagen können. 

Sicherlich – die berühmt berüchtigte Frage nach der Berufswahl konnte, wie immer, nicht eindeutig geklärt werden; zu vielseitig sind die Möglichkeiten, zu einseitig die Fragestellung. Und doch: sowohl auf den Gesichtern der Fragenden, als auch auf denen der Antwortenden oder der teilnehmenden Beobachter legte sich Zufriedenheit; gekoppelt mit der Gewissheit, genau das Richtige zu studieren. 

Freitag, 21. Januar 2011

Nachts. Auf den Lahn-Bergen

- Chemie ist, wenn es knallt und pufft

Würde man Studiengänge wie Spielfilme in einer TV-Programmzeitung auflisten und sie in den Kategorien Humor, Romantik oder Thriller beurteilen, würde der Studiengang der Vergleichenden Kultur- und Religionswissenschaft sicherlich nicht schlecht abschneiden; dass es bei uns lustig ist, ist keine Frage, romantisch ist der Gedanke an Feldforschung und einem Thriller gleich mag die Jobsuche nach einem abgeschlossenen Ethnologiestudium sein. Doch es gibt einen Bereich, den das Fach Chemie – zumindest am gestrigen Abend – besser abdeckt: Action.

So sieht es aus, wenn Chemiker nicht schlafen gehen
Von meinen Mitbewohnern überredet und mit Pizza bestochen, sause ich um kurz nach Acht auf die Lahnberge, um ein wenig Action zu erleben. Die lange Nacht der Chemie findet statt und im Jahr der Chemie kann man sich derartigen Veranstaltungen wohl kaum entziehen.
Es ist das erste Mal, dass ich auf den Lahnbergen bin; es ist dunkel und kalt und Philipps Schloss, das mir wie ein Kompass zur Orientierung dient, ist weg bzw. nicht sichtbar. Eine gute Mensa soll es auf den Lahnbergen geben, aber damit kann man mich gerade nicht locken. Bin ich noch in Marburg?

Auf dem Parkplatz angekommen, sieht es nicht so aus, als ob dieser Ort Leben vorsieht; es ist leer und verirrte Neonlampen leuchten uns den Weg zu grauen Gebäudekomplexen. Einen Preis hat die Chemie angeblich bereits erhalten, für ihre klare, strikte und brutale architektonische Besonderheit. Ich bin skeptisch.  
In einer verqueren Odyssee hasten wir durch das Treppenhaus, nehmen drei Schritte auf einmal und mir bleibt kaum Zeit, den Ort, an dem wir uns nun befinden, genauer zu untersuchen. Schließlich folgen wir nicht mehr den Schildern, sondern dem Lautstärkepegel; der Hörsaal A kocht. 

Etwa zweihundert Studenten sitzen hier, dicht getränkt, mit Pizza und Bier und beobachten drei weißgekleidete Chemiker, die lauter Explosionen bewirken; es knallt und pufft, die Chemiker lachen und es herrscht eine ganz berauschende Atmosphäre.
Kawumm: Eine zaghafte Wolke  ist alles, was bleibt
Wir haben Glück und ergattern einen Sitzplatz in der letzten Reihe. Schon jetzt vermerke ich eine absolute Reizüberflutung; so viele Eindrücke, die es zu verarbeiten gilt, so viele Dinge, die ich vorher noch nie gesehen habe. Doch es kommt noch besser: während wir langsam wieder zu Atem kommen, erklären die drei Praktizierenden ihr nächstes Vorhaben: im Rahmen des Themas Hören, Riechen, Sehen wollen sie mittels der Chemie verschiedene Sinne ansprechen.  „Wir werden jetzt versuchen, den Duft eines frisch gebratenen Steaks herzustellen“, erklärt einer von ihnen und die studentischen Reihen jauchzen. Es dauert ein wenig, bis der Duft dank eines Ventilators bei uns angekommen ist; zu unserer Enttäuschung riecht es eher nach zu vielen verbrannten Zwiebeln und Popcorn. Was Chemie nicht alles kann.
Im Laufe ihrer Vorführungen zünden die Drei ein Gummibärchen an und lassen Flüssigkeiten leuchten; ein Feuerball explodiert und Wunderkurzen fangen an, lustige Geräusche von sich zu geben. Ich bin mir nicht sicher, auf welche Weise man diesen Abend am besten verbringt: als Chemiker, der die Vorgänge versteht, oder als unwissender Kulturwissenschaftler, der den Geschehnissen mit der gleichen Faszination gegenüber steht wie ein Neandertaler einem Sonnenuntergang. 

Nach etwa einer Stunde kommt das offene Versuchslabor seinem Ende entgegen; jetzt folgen Vorträge. Ich bin gespannt, - und werde nicht enttäuscht. Klaus Roth von der FU Berlin erklärt in einem fast eineinhalbstündigen Vortrag die Geschichte des Mutterkorns und seine Bedeutung für die Menschheit. Um den Bogen vom Mittelalter zu den Beatles und deren Song Lucy in the sky with diamonds bis hin zu LSD zu spannen, wagt er sich sogar in die Kunstgeschichte vor und erzählt vom Isenheimer Altar in Colmar. Vielleicht sind Chemiker und Kulturwissenschaftler doch nicht so unterschiedlich. 
Um Mitternacht verabschieden auch wir uns von der Chemie, dabei ist das Programm noch längst nicht zu Ende. Abschließend, so sagt man mir, wird wieder experimentiert. Doch mir reicht dieser erste Ausflug in die Chemie; ich bin positiv überrascht und für einen Moment fast traurig, dass ich mir Ionen, Doppelhelixbindungen oder Atome so schlecht vorstellen kann. Aber für jeden gibt es eine Wissenschaft, und für diejenigen, denen es reicht, einmal im Jahr explodierende Weingummis zu bestaunen, ja, für all diejenigen gibt es die lange Nacht der Chemie.

Donnerstag, 13. Januar 2011

[Sirigang]

Über den Spaß am Fremden

Die Feldforschung stellt einen nicht zu unterschätzenden Bestandteil im Wirken des Ethnologen dar; natürlich mag es auf den ersten Blick mühsam erscheinen, bei hoher Luftfeuchtigkeit und treibendem Schweiße Steine umzudrehen oder Menschen zu beobachten, die sich vollkommen nackt und selbstverständlich in ihrem natürlichen Lebensraum bewegen, während man selbst, gehüllt in einen eher umständlichen als bequemen Tropenanzug, das soziokulturelle Verhalten eines Volkes erforscht.
Doch das Fremde soll verstanden werden. Und der Ethnologe machte sich dies zur obersten Aufgabe. Claude Lévi-Strauss war in den Tropen, Malinowski gefiel es auf den Trobriandinseln, Alexander von Humboldt – den wir vielleicht nicht als Ethnologen betrachten würden, der jedoch essentiell zur Feldforschung beitrug – weckte mit seinen Beobachtungen und Aufzeichnungen zu Forschungsreisen in die USA, Lateinamerika und Asien als „zweiter Kolumbus“ das Interesse der Wissenschaft am Fremden.

Ein weites Feld: Lévi-Strauss in Brasilien
Wir alle haben schon einmal Feldforschung betrieben; doch wir nennen es Urlaub. In fremden Ländern, - ob europäisches Ausland oder tatsächlich "weiter weg" - werden wir zum Beobachter; es fängt möglicherweise mit einer fremden Sprache (also einer offensichtlichen Unterscheidung)  anund endet im totalen Chaos, sobald Menschen mit den Köpfen nicken und "nein" meinen. Wir deuten, überlegen, verstehen nicht, deuten erneut und beginnen über die Unterschiede nachzudenken oder uns zu ärgern. 
In Frankreich isst man gerne Froschschenkel, hierzulande nicht. In Italien liebt man laute Orte, in Deutschland beklagt man sich gern darüber. In Nicaragua zählt eine Familie 10 Kinder. In Deutschland 1,43. Ich wurde oft gefragt, ob wir in einem sehr kleinen Land leben oder ob die Deutschen sich nicht lieb haben. 
Es ist diese Andersartigkeit, von der unsere Welt lebt. Es gilt, beides zu entdecken. 

Nun könnte man meinen, in einer Welt der digitalen Möglichkeiten sei so etwas wie Feldforschung schon längst überholt, viele Kulturen seien bereits längst entdeckt, und die Ethnologie als Wissenschaft sei allemal ein Phänomen des 20. Jahrhunderts. Ist in dieser Disziplin nicht bereits alles gesagt?
Nein. Ganz eindeutig: nein! Denn die Ethnologie lebt von der Ethnographie, der Beschreibung also, den Aufzeichnungen und Entdeckungen der Ethnologen. Und je dichter die Ethnographie – je mehr Aufzeichnungen ergo vorliegen -, desto dichter ist die Ethnologie. Eine Kultur lässt sich nicht anhand eines Satzes oder zweier Aufsätze beschreiben; sie verlangt mehr von uns. Sie verlangt viele Ethnologen, die Unterschiedliches oder auch Gleiches beobachten und niederschreiben. Denn eine vollkommene Ethnologie gibt es nicht; wir sprechen hier nämlich von einem Wesen, das es wahrscheinlich als wenig schmeichelhaft empfindet, wenn man behauptete, man hätte es entdeckt, erforscht, verstanden - und könne dies alles in einem einzigen Bericht fest halten. Der Mensch ist gern komplex.  
Eine schöne Wissenschaft ist sie also, die Ethnologie, denn demnach ist (zumindest theoretisch) Platz für alle da.

Argonaut des westlichen Pazifiks: Malinowski
Doch wozu die Überlegungen?
Dass Feldforschung Spaß macht, dass wir als Ethnologen, aber auch als Menschen, an der Andersartigkeit der Welt Freude und Gefallen finden können, wurde am vergangenen Dienstag in schönstem Maße demonstriert: Die Ringvorlesung „Religion und Humor“ erreichte unter Leitung von Mark Münzel ungeahnte Dimensionen, - man könnte auch von einem heimlichen Höhepunkt sprechen; der ehemaliger Marburger Professor für Völkerkunde berichtete einem völlig gebannten Hörsaal voller Studenten von Mythen und Sagen und deren alltäglicher Erscheinung im Leben der Indianer im brasilianischen Regenwald. Er sang, hüpfte und kommentierte - und der Spaß an dieser lebendigen Beschreibung des Fremden war sowohl anwesenden Dozenten wie auch der Studentenschaft deutlich ins Gesicht geschrieben. 

Samstag, 8. Januar 2011

Wasser, Wasser, - und noch mal: Wasser

Sicher ist sicher
Unsere kleine Stadt befindet sich in einer Zeit der Extreme; zunächst machte der Schnee – nun mancherorts schwarz und fester als Stein – das Vorankommen beinahe unmöglich; jetzt ist es das wahrhaft gewaltige Hochwasser, das in diesen Tagen die Lahn hinuntertreibt.
So manch einer mag sich ärgern, während andere hingegen eine ganz besondere Art der Vorsorge trafen. Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen, dachte sich wohl auch der Besitzer dieses Fahrrades, das auf simple Weise sowohl vor Diebstahl als auch vor den reißenden Fluten des Flusses sicher ist.
Chapeau für so viel Einfallsreichtum.

Mittwoch, 5. Januar 2011

Ein neues Jahr

2011 - ein neues Jahr ist da. 
365 Tage, die uns zur freien Verfügung stehen. Tage, mit denen wir machen können, was wir wollen, die wir verschlafen und an denen wir aktiv sein können; je nachdem, ob wir uns im Semester oder in den Semesterferien befinden. 
Glaubt man den Mayas, dann ist es das letzte Jahr, das wir tatsächlich erleben dürfen. Man sollte sich also doch lieber genau überlegen, wie man seine Zeit verbringt. Denn, was soll man lange drum herum reden: 2012 hört die Kalenderrechnung auf, und dann sieht es bitter aus. Doch wohl gestimmt, - ohne alte Götterglauben verschrecken zu wollen – bin ich der Überzeugung, dass unser technokratisches Dasein ein derartiges Finale nicht zulassen wird. 
2012 ist Schluss - sagen die Mayas
Gerade mal fünf Tage zählt das neue Jahr; und doch gab es schon einiges zu sehen: eine partielle Sonnenfinsternis versetzte Deutschland in Staunen; für alle diejenigen, denen dicke weiße Wolken die Sicht versperrten, sei gesagt: noch zwei Mal werden wir in diesem Jahr die Gelegenheit erhalten, ein derartig kosmisches Erlebnis zu beobachten, nur wird es dabei um den Mond gehen.


Aber was steht 2011 noch so auf dem Plan?
Es wird wieder eine Fußball-WM geben; allerdings sind in diesem Jahr die Frauen am Ball. Gespielt wird in Deutschland, - genau so wie beim Eurovision Song Contest, dessen Sieg man sich im vergangenen Jahr in Oslo ersang. Einen G8-Gipfel wird es geben, allerdings in Frankreich. In Frankfurt am Main wird man nach fünfzig Jahren Planungszeit mit dem Bau des Riederwaldtunnels beginnen; verschiedene Leute feiern bzw. lassen ihren Todestag feiern, darunter finden sich Franz Liszt und Heinrich von Kleist, aber auch David Hume, der auch an der Marburger Phil-Fak schwer im Gespräch ist.


Ein bisschen Sonne, ein bisschen Finsternis. Partiell, eben.
Doch dieses Jahr hat auch ein Motto: Es ist das internationale Jahr der Chemie; und bereits zum Jahreswechsel trat diese durch Knallkörper (und vielleicht durch Alkohol) in Erscheinung, um auf sich aufmerksam zu machen; dessen konnte ich mich in Berlin überzeugen, auf dem berüchtigten – und zu diesem Zeitpunkt stark umnebelten – Kreuzberg. Es puffte und explodierte und vor unser aller Augen wandelte sich der soziale Brennpunkt in einen sozialen Knallpunkt.

In Marburg hingegen ist es in diesen Tagen noch ruhig. Die Stadt scheint beinahe ausgestorben ohne all die Studenten, die sonst über die Mensabrücke, den Marktplatz und den Erlenring huschen. Als ich nach knapp zwei Wochen wieder den Schlüssel in die Tür meiner Wohnung stecke, bin ich mir für einen Moment gar nicht sicher, ob ich wirklich schon studiere. Vielleicht ist es noch Teil der euphemistischen Neujahrsstimmung; doch ich habe das Gefühl, dass es jetzt erst richtig los geht. 

Bilder: Mayakalender: www.2012-blog.de, Sonnenfinsternis: wikipedia.de